Abenteurer sucht Frau fürs Leben
der Gedanke daran rief Angst hervor.
Plötzlich flogen die Enten von der Insel auf.
Lili wandte den Kopf, um zu sehen, was sie aufgeschreckt hatte.
Ein Stück weiter flussabwärts watete Kyle ins Wasser. Es reichte ihm bereits bis an die Oberschenkel. Mitten im Fluss wartete er, bis Belle von der Strömung zu ihm getrieben wurde. Dann packte er sie um den Bauch, warf sie sich über die rechte Schulter und hielt sie mit Mühe fest, während sie wie ein Fisch auf dem Trockenen mit dem Hinterteil zappelte.
Langsam und vorsichtig, um seine kostbare Last nicht zu verlieren, drehte er sich um und watete ans Ufer zurück.
„Gott sei Dank!“, rief Lili aufgeregt. „Seid ihr beide okay?“
„Ich denke ja.“ Er ging in die Hocke und ließ sich die patschnasse Hündin von der Schulter gleiten.
Lili schlang die Arme um beide und wurde ebenso wie er mit einer Ganzkörperdusche belohnt, als Belle sich das Wasser aus dem Fell schüttelte.
„Oh, vielen Dank, du undankbares Wesen! Auf geht’s, alle beide! Ab nach Hause.“
Kyle saß erschöpft am Esstisch und trank dampfenden Tee aus einem Becher. Sein Haar war fast trocken, aber total zerzaust, nachdem er sich den Kopf mit einem Handtuch gründlich abgerubbelt hatte.
Lili kam aus dem Badezimmer in die Küche und verkündete: „Jetzt ist alles wieder gut. Belle ist sauber, trocken und zufrieden. Das sollte uns allen eine Warnung sein, wie gefährlich es ist, Enten über einen reißenden Fluss zu jagen!“
„Ich hatte den Eindruck, dass sie sich prächtig amüsiert hat.“
„Das stimmt.“ Sie grinste und klimperte mit den Wimpern. „Ich danke Ihnen trotzdem, dass Sie ihr den Spaß verdorben haben. Belle bedeutet mir sehr viel. Sie sind heute ganz offiziell unser Held. Vielleicht gibt’s dafür sogar eine Medaille!?“
„Ich fühle mich nicht besonders heldenhaft.“
„Wir sind hier in einem kleinen Dorf. Unsere Erwartungen sind niedrig. Wir nehmen, was immer wir kriegen können.“
„Ein schwaches Lob, aber ich akzeptiere es.“ Kyle prostete ihr mit seinem Tee zu. „Was hat Sie dazu gebracht, Ihren Besuch bei Emma abzubrechen und nach uns zu suchen?“
Sie setzte sich ihm gegenüber. „Emma und ich haben uns Sorgen gemacht, als der Regen immer stärker wurde.“ Sie hob abwehrend beide Hände. „Ich weiß, dass Sie hier der Arzt sind, aber wir wollten trotzdem verhindern, dass sich Ihr Husten verschlechtert, nachdem er in den letzten Tagen spürbar abgeklungen ist. Das war allerdings, bevor Sie beschlossen haben, ein eisiges Bad im Fluss zu nehmen. Sie wissen doch – die Zukunft von Kingsmede als Kurort hängt von Ihrer Genesung ab!“
„Tja, ich würde die Tourismusbranche nur höchst ungern im Stich lassen“, erwiderte er augenzwinkernd. „Hat Emma der Kuchen geschmeckt?“
Lili schmunzelte. „Und wie! Besonders die dicke süße Glasur mit den knalligen Farben. Sie hat alles mit zwei Gläsern Champagner rosé runtergespült.“
„Hat sie heute Geburtstag?“
„Nicht wirklich, aber das ist eine lange Geschichte.“
Er neigte den Kopf zur Seite. „Ich habe heute den ganzen Abend nichts anderes zu tun, als mich an traumatische Erfahrungen im afrikanischen Busch zu erinnern, während Belle vor dem Feuer schnarcht. Also, erzählen Sie bitte.“
„Na gut. Haben Sie schon mal von der Erinnerungstherapie gehört? Das ist ein Verfahren, das im Hospiz angewendet wird. Emma hat mich gebeten, ihr dabei zu helfen. Kurz gesagt geht es darum, dass man eine Gedächtnisdokumentation über sein Leben erstellt. Man schildert seinen Werdegang und die Gepflogenheiten in der Familie, erwähnt Freunde und Verwandte und notiert einfach alles, was die Hinterbliebenen in Erinnerung behalten sollen, wenn man nicht mehr da ist.“
Kyle lauschte ihr mit unverhohlener Faszination.
„Unsere Generation ist an den Umgang mit moderner Technologie wie digitale Fotos und Videos gewöhnt, nicht aber Ladies wie Emma. In ihrer Jugend war das Fotografieren noch sehr teuer.“
„Haben Sie ihr denn nun geholfen oder nicht?“
„Ja. Ich habe Abzüge von dem einzigen Bild gemacht, das ihr von ihrer Hochzeit geblieben ist. Es wurde vor der Kirche von Kingsmede aufgenommen. Und sie hat mir von ihrer Trauung erzählt.“
Einen Moment lang blickte Lili stumm aus dem Fenster auf den strömenden Regen.
„Es war ein warmer sonniger Morgen. Die ganze Familie war von der Kirche unterwegs zum Hochzeitsessen in dem Cottage, in dem sie heute noch lebt. Als sie den Fluss
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