Aber bitte mit Sake
verschwunden. Euro-Krise – ganz mein Thema. Kopfschüttelnd blicke ich ihm nach.
Am Abend stehe ich vor meinem schmalen Kleiderschrank, um mich angemessen für das Formal Dinner anzuziehen – ein festliches Essen, das traditionell immer an einem der ersten Abende stattfindet. Ich weiß nicht genau, welcher Dresscode vorgeschrieben wird, daher entscheide ich mich für ein mittelschickes Outfit: weinrote Seidenshorts über einer schwarzen Strumpfhose, ein schlichtes T-Shirt und Pumps. Kyoko trägt wieder einen ihrer edlen, handgenähten Kimonos. Sie betrachtet mich kritisch.
»Meinen Sie nicht, das Outfit ist ein bisschen leger? Immerhin gehen wir zum Formal Dinner !« Ich blicke an mir hinunter.
»Ach, ich finde, das passt schon. Wir sind doch nicht auf der Queen Mary«, entgegne ich freundlich, aber bestimmt.
»Das nicht, aber ich finde, man sollte die Form wahren. Wo für Kleidung und Nahrung gesorgt ist, entstehen gute Sitten! Immerhin treffen wir gleich den Kapitän.« Kyoko lässt nicht locker, aber ich mag mich nicht bevormunden lassen. Sie ignorierend beobachte ich unsere junge Mitbewohnerin Gaki, die auf ihrem Bett ein ziemliches Chaos angerichtet hat. Überall liegen Comic-Hefte mit bunten Figuren auf dem Cover, dazwischen hat sie bunte Kostüme ausgebreitet. Unentschlossen hebt sie eines nach dem anderen hoch und betrachtet es mit gerunzelter Stirn.
»Was hast du denn vor?«, frage ich sie auf Englisch, als mir einfällt, dass sie mich nicht versteht. »Könnten Sie übersetzen?«, wende ich mich an Kyoko.
»Natürlich«, entgegnet sie. »Gaki sucht sich ein Kostüm für heute Abend aus.«
»Ein Kostüm?«, frage ich verwundert. »Wozu denn?« Ich lausche Gakis japanischen Ausführungen, obwohl ich nicht verstehe, wovon sie redet. Sie reicht mir einen Stapel Hefte herüber und zeigt dann auf eines der bunten Kleider, die neben ihr auf dem Bett liegen.
»Das sind die Kostüme ihrer Lieblingscharaktere aus den Comics. Sie kann sich nur nicht entscheiden, als was sie gehen will«, übersetzt mir Kyoko das Gesagte.
»Ich kann Ihnen nicht ganz folgen. Wieso braucht man Kostüme von Figuren aus einem Comic?«
»Es handelt sich nicht um beliebige Comics. Das sind Manga. Sie spielen eine sehr große Rolle in Japan. Es gibt über zweihundert verschiedene Magazine, die monatlich erscheinen.« Ich nehme eines der Hefte in die Hand und blättere es schnell von vorne nach hinten durch. Gaki schüttelt aufgeregt mit dem Kopf und wedelt mit ihrem Comic-Heft.
»Sie müssen es von hinten nach vorne lesen«, erklärt mir Kyoko lächelnd. »Und von rechts nach links.« Während ich die bunten Bilder betrachte, sehe ich aus den Augenwinkeln, dass Gaki sich inzwischen entschieden hat. Sie zieht sich ein rosafarbenes Kleid über, das einem Pettycoat sehr ähnlich ist und an das ein langer Katzenschwanz genäht ist.
»Ich bin Sakura!« Gaki grinst mich an und als ich mein iPhone zücke, um ein Foto von ihr zu schießen, macht sie das Victoryzeichen. »Sakura liebt Cheerleading, sie hat immer gute Laune und Angst vor Gespenstern«, übersetzt Kyoko mir Gakis Ausführungen.
»Aha.«
»Sakura gab es sogar im Kino! Der Film ist zwar schon älter – aber super. Wenn du willst, kann ich ihn dir ausleihen! Sakura ist mein Lieblingscharakter. Sie ist so cool!« Gaki wühlt in einer der Schubladen der Kommode, die neben dem Stockbett steht. »Hier!«, ruft sie triumphierend und hält mir eine DVD entgegen. »Du musst Sakura kennenlernen! Der Film ist echt gut!«
»Gerne«, sage ich überrumpelt und lege die DVD -Hülle auf mein Bett.
»Heute Abend? Bitte! Ich gucke mit! Nach dem Essen?«
»Okay«, sage ich ergeben. Scheinbar färbt die japanische Höflichkeit schon auf mich ab. Kyoko blickt leicht nervös auf die Uhr und bedeutet Gaki und mir, ihr zu folgen. Auf unserem Weg zum Restaurant ertönt eine Ansage durch die Lautsprecher.
»This is an announcement from reception« , blökt es durch die Flure. »Bitte seien Sie vorsichtig. Das Schiff schwankt. Passen Sie auf, wenn Sie die Treppen benutzen, und tragen Sie keine Stöckelschuhe. Sie könnten sich verletzen.« Etwas ratlos blicke ich an mir hinunter. Meine Pumps sind nicht wirklich hoch.
»Ich muss meine Schuhe jetzt nicht wieder ausziehen, oder?«, frage ich Kyoko, die flache Sandalen unter ihrem Kimono trägt.
»Nun, das ist eine Warnung, kein Befehl. Sie sollten vorsichtig sein. Das Schiff kann wirklich sehr stark schaukeln. Und mit Ihrer
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