Aber bitte mit Sake
trotte ich von dannen. Anstatt sich mit mir zu verbrüdern, ist Riku mir sofort in den Rücken gefallen. Mir ist jedenfalls der Appetit vergangen. Ich stelle mein Tablett ab und mache mich auf die Suche nach Henry, dem einzig wahren Verbündeten, den ich auf diesem Schiff habe, und der gemeinsam und heimlich mit mir die Regeln bricht. Ich finde ihn hinter der Bar auf dem Tikki-Deck, am ruhigsten Platz auf dem ganzen Schiff, denn nur ab und zu und nur in warmen Gefilden werden hier tagsüber Getränke verkauft. Wenn nicht gerade die Hula-Tanzstunde stattfindet, ist hier kaum ein Mensch. Die meiste Zeit kann man also, an die Rückwand der Bar gelehnt, auf den warmen Holzbohlen sitzen und ungestört den Pazifik beobachten. Henry sitzt, die Hände über das zerknitterte Hawaiihemd gefaltet, die Augen geschlossen, auf dem Boden und reckt sein Monchichi-Gesicht der Sonne entgegen. Das graue Haar steht ihm wie ein Heiligenschein vom Kopf ab. Er hört mich nicht, aber als mein Schatten auf sein Gesicht fällt, schreckt er auf. Fast scheint er erleichtert, als er erkennt, dass ich es bin. Ich lasse mich neben ihm auf dem Holzdeck nieder.
»Ach, du!«
»Ja, ich! Vor wem versteckst du dich denn hier?«
»Vor deiner Mitbewohnerin. Mann, ist die hartnäckig.«
»Kyoko? Was will sie denn?«
»Sie will unbedingt, dass ich an der Teezeremonie teilnehme, die sie wegen des Sommerfests veranstaltet. Dabei weiß sie doch genau, wie sehr ich festgelegte Abläufe und Regeln hasse. Und eine Teezeremonie besteht aus nichts anderem! Aber sie muss ja unbedingt versuchen, doch noch einen Japaner aus mir zu machen.«
Kyokos self-planned-event! Den hatte ich völlig vergessen. Genau jetzt wollte sie mir den Yukata anziehen, den ich auf dem Sommerfest tragen soll.
»Kyoko! Die habe ich fast vergessen!« Ich stehe auf, putze mir den schwarzen Ruß von den Händen, der regelmäßig aus dem Schornstein des Schiffes auf uns herunterrieselt und das Tikki-Deck mit einem dünnen Film überzieht. Ein weiterer Grund, weshalb der Platz nur mäßig gefragt ist. Aber Henry stört das nicht, im Gegenteil, fast provokant streckt er die tiefschwarzen Fußsohlen von sich, während ich ihm noch einmal zuwinke und mich dann entferne. Schnell laufe ich die Treppe am Außendeck hoch, überquere das Jacuzzi-Deck, schlüpfe durch eine der schweren Holztüren zurück ins Schiff und erreiche wenig später die Actors Bar, die zu dieser Uhrzeit verlassen daliegt. Kyoko sitzt schon dort und wartet, unbeweglich, mit kerzengerader Haltung. Natürlich ist ihrem Gesicht kein Vorwurf über meine Verspätung zu entnehmen; stattdessen lächelt sie und deutet eine Verbeugung an, aber ich weiß es mittlerweile besser und entschuldige mich, wie es sich gehört, ebenfalls unter zahlreichen Verbeugungen. Kyokos Lächeln verbreitert sich.
»Kommen Sie, wir gehen nach unten in die Kabine, ich habe Ihnen einen besonders schönen Yukata ausgesucht.«
Sie erklärt mir, dass im Sommer auch außerhalb der Onsen , der Bäder bei den heißen Quellen, statt der Kimonos die dünneren Yukata getragen werden.
»Ach, apropos. Ich habe in Tokio ein Onsen besucht. Allerdings habe ich den Yukata dort irgendwie falsch getragen. Jedenfalls kam eine Japanerin auf mich zu und hat ihn anders gebunden, als ich ihn mir umgelegt hatte. Wissen Sie, was es damit auf sich hat?«
»Aber natürlich. Wahrscheinlich haben Sie ihn falsch herum getragen. Das passiert Ausländern häufig. Es ist wichtig, dass die linke Seite des Yukata über der rechten liegt. Rechts über links zieht man den Yukata nur Toten an.«
»Oh. Das kann natürlich sein. Deshalb hat mich die Dame so bestürzt angesehen. Da muss man aber auch einiges beachten.«
»Das stimmt. Und was genau, werde ich Ihnen gleich zeigen.« Wir erreichen unsere Kabine. Kyoko hat schon alles vorbereitet. Alle Utensilien, die man braucht, um das kaftanartige Kleidungsstück zu tragen, liegen fein säuberlich auf der Matratze gestapelt. Vorsichtig kniet Kyoko vor dem Bett nieder und faltet den leuchtend blauen Stoff, der mit weißen Vögeln bedruckt ist, auseinander. Sie nimmt den rot-weiß-gestreiften Obi , den Gürtel, mit dem man den Kimono in der Taille fixiert, wickelt ihn auseinander und zeigt ihn mir stolz, bevor sie ihn zur Seite legt. Dann reicht sie mir eine Art Unterkleid und hilft mir, hineinzuschlüpfen. Sie betrachtet mich von oben bis unten, unzufrieden vor sich hinmurmelnd umrundet sie mich. Irgendetwas scheint sie zu stören. Ich
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