Aber bitte mit Sake
Schiff rückt so einiges in eine neue Perspektive, das kannst du mir glauben. Und gerade Westeuropäern tut es mal gut, ein wenig von der japanischen Mentalität überschwemmt zu werden und sich selbst nicht so wichtig zu nehmen. Das tut ihr nämlich viel zu oft.« Nachdenklich laufe ich neben ihm her. Wahrscheinlich hat er recht, trotzdem ist es nicht einfach, die eigene Weltsicht und die eigenen Gewohnheiten beiseite zu schieben und das, was man als richtig und selbstverständlich ansieht, in Frage zu stellen. Nicht einmal hier, in der Mitte des pazifischen Ozeans. Ich folge Henry, der mir die Tür zu einem Restaurant aufhält, in dem – wie sollte es anders sein – schon dreißig Japaner sitzen.
»Kennst du die Geschichte vom Hasen und vom Igel?«, flüstere ich ihm zu. »Egal, wie schnell der Hase rennt, wenn er irgendwo ankommt, ist der Igel immer schon da!«
Henry lacht sein breites, freundliches Lächeln und sieht wieder aus wie ein Monchichi.
»Ja, wenn tausend Japaner auf Tahiti stranden, dann ist es hier eben doch ziemlich voll!« Wir nehmen im hinteren Teil des Restaurants Platz. Vergeblich versuche ich ein Bild von einem prominenten italienischen Fußballspieler zu ignorieren, der hier zu Gast war und sein signiertes Bild zurückgelassen hat. Ausgerechnet hier, 15.876,203 Kilometer von zu Hause entfernt, erinnert mich sein Bild an Raffaele und daran, dass man vor manchen Dingen nicht weglaufen kann, nicht einmal, wenn man um die halbe Welt reist.
»Wie ist denn dein Plan für morgen?«, fragt Henry mich, während er zwei Gläser Wein bestellt.
»Ehrlich gesagt, ich habe mich schon die ganze Zeit auf einen der typischen Sandstrände gefreut, und jetzt hat mir Riku erzählt, dass die überhaupt nicht auf Tahiti sind, sondern dass ich auf eine der Nachbarinseln fahren muss.«
»Ja, nach Moorea, aber das dauert nicht lange. Und die Fähre fährt direkt vom Hafen aus, praktisch direkt neben dem Peaceboat . Weißt du was? Wenn du magst, dann komme ich mit und zeige dir, wo der Strand ist. Mein Abschiedsgeschenk sozusagen.«
»Das würdest du machen? Wie schön.«
»Wir sollten allerdings früh fahren, damit es sich lohnt. Lass uns um kurz vor sieben vor dem Peaceboat treffen. Das heißt wenig Schlaf.« Henry zieht eine Grimasse. Aber mir macht der Gedanke daran kaum etwas aus. Beschwingt und voller Vorfreude laufe ich in dieser Nacht zum Schiff zurück.
Obwohl ich mir den Wecker auf halb sieben gestellt habe, wache ich schon um fünf auf, weil das Schiffstelefon klingelt. Schlaftrunken blicke ich auf die Uhr, die neben meinem Bett auf der braunen Achtzigerjahre-Kommode liegt, dann greife ich zum Hörer.
»Hallo?« Meine Stimme klingt verschlafen. Gaki dreht sich einmal um und grunzt laut. Was Kyoko macht, kann ich nicht sehen, sie schläft unter mir im Stockbett. Ich steige die schmale Treppe hinab und greife nach dem Telefonhörer.
»Dana? Dana?« Der Mann am anderen Ende der Leitung klingt wach, ja geradezu aufgeregt.
»Ja. Wer ist denn da?« Ich bin verwirrt. Kurz habe ich die Hoffnung, dass es vielleicht Raffaele ist, der mich anruft, aber dann fängt der Mann am anderen Ende an, japanisch zu sprechen. Ich halte Kyoko, die sich mittlerweile aufgerichtet und das Licht angeknipst hat, die Muschel hin. Kyoko lauscht, gefühlte zehn Minuten und antwortet im Anschluss gefühlte zwanzig Minuten. Dann legt sie auf und sagt: »Das war Haruki, dieser alte Japaner, der neulich mit Ihnen beim Mittagessen saß. Er wollte nur sichergehen, dass Sie nicht in Tahiti das Schiff verlassen, ohne dass er Gelegenheit hatte, sich zu verabschieden.« Sie streckt sich auf dem Bett aus und gähnt. »Ich habe ihm gesagt, dass Sie noch bis Kuba bleiben.«
Ich bin verblüfft. »Und das hat so lange gedauert? Es hat sich angehört, als hätten Sie in der Zeit eine neue Nihon koku kemp o , eine neue Verfassung des Staates Japans ausgearbeitet.«
Kyoko gähnt noch einmal. »Sie wissen doch, bei uns dauert jedes Gespräch wegen der Höflichkeit und der Form, die eingehalten werden muss, etwas länger. Und weil das so ist, bin ich jetzt auch munter.«
»Ich auch. Wenn ich schon mal so früh wach bin, dann kann ich mir auch gleich den Sonnenaufgang ansehen.« Während ich die Treppen hinaufeile, male ich mir aus, wie ich mit maximal zwei, drei Leuten, die die Schlaflosigkeit ebenfalls aus der Kabine getrieben hat, an der Reling stehe und zuschaue, wie der Tag heraufzieht. Bei der Aussicht auf so viel Romantik muss ich
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