Aber bitte mit Sake
Da ich das erste Mal unter Japanern bin, stehe ich für sie quasi noch unter Welpenschutz. Aber von Henry, der schon zum xten Mal auf dem Peaceboat unterwegs ist, erwartet Kyoko einwandfreies Benehmen. Deswegen ist es am einfachsten, die beiden voneinander fernzuhalten. Aber dafür ist es jetzt zu spät, denn just in diesem Moment kommen zwei vermummte Gestalten die Gangway hinunter, die ich nach mehrmaligem Hinsehen als Kyoko und Gaki identifiziere. Kyoko trägt einen roten Yukata-Anzug mit rosa Blümchen, weiße Handschuhe, um den Kopf hat sie ein rot-weißes Palästinensertuch geschlungen, das sie mit einem roten Baseballcap fixiert hat. Ihr Gesicht verdeckt eine Spiegelglasbrille. Gaki hinter ihr ist etwas dezenter in einem hellen Blau gekleidet, aber auch sie trägt weiße Handschuhe, einen großen Sonnenhut und den obligatorischen Mundschutz.
»Ohoh, da kommen die Geschwister Fürchterlich!«, höre ich Henry hinter mir murmeln. Und tatsächlich sehen die beiden, als sie in dieser sehr speziellen Aufmachung auf uns zueilen, ein wenig zum Gruseln aus.
»Kyoko!« Mein Blick gleitet fragend an ihrem Outfit auf und ab. »Willst du doch nicht mit zum Strand?« Obwohl es noch recht früh ist, ist das Klima so tropisch, dass ich allein bei dem Anblick der beiden vermummten Gestalten sofort zu schwitzen anfange.
»Doch, natürlich! Und Gaki kommt auch mit. Sie hat sich nicht für eine der Exkursionen angemeldet, weil ihr das zu teuer war, und gehofft, stattdessen den Mikoshi mittragen zu können. Aber die haben schon genug Hilfe. Der Mikoshi ist ein tragbarer Schrein, den eine Gruppe junger Leute aus der japanischen Erdbebenregion an Bord zwischen Yokohama und Tahiti gebaut hat. In jedem Hafen, in dem das Peaceboat anlegt, wollen sie den Schrein an Land tragen, um von den Bewohnern der jeweiligen Region in japanischer Tradition Wünsche auf Holzplättchen schreiben zu lassen. Diese hängen sie dann an den Schrein. Zurück in Japan, überbringen sie ihren vom Schicksal gebeutelten Landsleuten die guten Wünsche aus der ganzen Welt. In ihren gelb-blauen traditionellen Kostümen tragen sie Hafen für Hafen unermüdlich ihre große Last, statt sich an den Stränden und in den Bars der verschiedenen Länder zu vergnügen. In den Mikoshi -Trägern zeigt sich eine typische japanische Eigenschaft von der besten Seite: Man hält zusammen. Genau aus diesem Grund wäre es doch gelacht, wenn wir in unserem ungleichen Grüppchen nicht wenigstens einen Tag auf Moorea Island überstehen würden. Ich entscheide mich daher vorerst, den Aufzug von Kyoko und Gaki zu ignorieren, genauso wie das lange Gesicht, das Henry macht, als er begreift, dass die beiden wirklich mitkommen, und scheuche alle zur Fähre, die auch um diese Uhrzeit schon erstaunlich voll ist. Als wir wenig später das Boot auf Moorea Island verlassen, kann ich es mir aber doch nicht ganz verkneifen, Henry etwas zuzuflüstern.
»Hast du eine Ahnung, weshalb die beiden so angezogen sind?«
»Wegen des Wetters!«
»Wegen des Wetters? Es ist doch warm!«
»Ja, genau deswegen ja! Japaner mögen keine Sonne. Sie haben Angst, Hautschäden davonzutragen und krank zu werden.«
»Aber dann werden sie ja überhaupt nicht braun!«
»Wollen sie ja auch nicht! In Japan entspricht weiße Haut dem Schönheitsideal. Auch aus ästhetischen Gründen macht es daher Sinn, sich vor der Sonne zu verstecken. Ich kann mir jedenfalls kaum vorstellen, dass Gaki sich verhüllt, weil sie Angst hat, Hautkrebs zu bekommen, dafür ist sie noch zu jung.« Wir passieren einen Stand, an dem Papayas verkauft werden und biegen in die Uferstraße ein, die an der Küste entlang um die Insel führt. Henry übernimmt die Führung, ich laufe neben ihm her und versuche Schritt zu halten; in einigem Abstand folgen Kyoko und Gaki mit kleinen Schrittchen. Wir haben jetzt schon ungefähr 27 Grad, und es ist noch früh am Morgen. Gar nicht auszudenken, wie warm ihnen sein muss. Eine ganze Weile laufen wir stumm vor uns hin. Ab und zu fährt ein Auto vorbei. Ich kann erkennen, dass sich die Insassen neugierig nach Kyoko und Gaki umdrehen. Die beiden könnten so eine Bank überfallen, keiner würde sie erkennen. Wir laufen bestimmt eine halbe Stunde immer geradeaus, auf beiden Seiten der Straße wachsen bunte Blumen, die gleiche Sorte, die auch Henrys Hawaiihemd ziert. Ich versuche, ihre Schönheit mit der Kamera meines Handys einzufangen.
»Du musst sie dir hinters Ohr stecken.« Henry bricht eine Blüte ab.
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