Aber bitte mit Sake
hat ihre Rolle innerhalb der Familie noch nicht richtig begriffen.« Nachdem wir uns am Buffet mit Wasser, Mizu , ein paar Vorspeisen, den Zensai , gebratenem Reis, Chahan und Soße eingedeckt haben, setzen wir uns an einen der großen Tische auf dem Pooldeck. Riku macht uns miteinander bekannt. Ich stelle mich allen vor und werde natürlich wieder mehrfach gefragt, ob ich Bier mag. Nachdem Herr Murakami sich über die Vorzüge des deutschen Biers ausgelassen hat, erzählt er mir, dass er aus Hiroshima kommt.
»Machen Sie Urlaub auf dem Schiff?«, frage ich ihn.
»Nein, ich gehöre zu den Hibakusha, die an Bord sind.«
»Hibakusha? Was ist das denn?«, frage ich interessiert.
»Hibakusha sind überlebende Opfer der Atombomben von Hiroshima und Nagasaki«, übersetzt mir Riku seine Antwort. »Mittlerweile zählen aber generell Opfer von atomarer Strahlung dazu. Also auch die Menschen, die durch die Atomkatastrophe von Fukushima betroffen sind. Aber eigentlich leitet sich der Begriff von den Atombomben ab, die unser Land zerstört haben.«
»Moment …« Ich betrachte Herrn Murakami und beginne zu rechnen. Er wirkt noch gar nicht so alt. »Das war doch im Zweiten Weltkrieg. 1945. Ich will nicht unhöflich sein, aber darf ich fragen, wie alt Sie sind?«
»Natürlich. Ich bin 83.«
»Wie bitte?« Ich verschlucke mich fast an dem Hähnchenstück, das ich mir gerade in den Mund gesteckt habe. Ich kann es nicht glauben. Herr Murakami sieht höchstens aus wie Anfang sechzig. Und zwar wie ein sehr fitter Sechzigjähriger. Unter seinem Sportshirt zeichnen sich deutliche Oberarm- und Brustmuskeln ab, er hat mit Sicherheit kein Gramm Fett zu viel und seine Gesichtshaut ist ungewöhnlich glatt für sein Alter.
»Ich hätte Sie viel jünger geschätzt!«
»Vielen Dank für das Kompliment«, antwortet Herr Murakami. Er lacht und scheint geschmeichelt zu sein. »Nun, ich stehe jeden Morgen um vier Uhr dreißig auf. Dann gehe ich laufen oder Fahrrad fahren und mache noch eine Viertelstunde Krafttraining.«
»Jeden Tag?«, frage ich beeindruckt.
»Jeden Tag. Und ich ernähre mich gesund. Ich nehme jeden Tag eine Pille mit Garnelenextrakt zu mir. Das ist mein Geheimtipp. Gut für den Kopf und den Geist. Und dann gibt es noch etwas, auf das wir achten. Was glauben Sie, wann ich das erste Steak gegessen habe?«
»Ich weiß nicht.«
»Mit über zwanzig. Fleisch ist einfach ungesund. Wir Japaner wissen, wie man sich vernünftig ernährt. Bei uns gibt es viel Gemüse und Fisch. Das ist das Geheimrezept. Die einfache Regel lautet: Essen Sie nichts, was mehr als zwei Beine hat.« Er lacht mich an. »Vielleicht hat mich aber auch einfach meine Frau auf Trab gehalten. Eigentlich habe ich angefangen, für sie so früh aufzustehen. Damit ich morgens noch die Hausarbeit erledigen und für sie Frühstück machen kann. Ich habe es ihr immer ans Bett gebracht. Bis zum Schluss.« Nachdenklich hält Herr Murakami inne. Ich weiß nicht so recht, was ich antworten soll. Gerade bei emotionalen Themen ist es schwierig, immer erst die Übersetzung von Riku abzuwarten. Und sich darauf verlassen zu müssen, dass er das, was ich ausdrücken will, auch erfasst und richtig ausdrückt.
»Es tut mir sehr leid«, sage ich also etwas unbeholfen, weil ich nicht genau weiß, ob ich ihn richtig verstanden habe. Doch Herr Murakami lächelt mich an.
»Das muss es nicht. Sie hatte Krebs. Vermutlich durch die Strahlung. So genau weiß das aber niemand. Man kann nicht wirklich belegen, dass die Krankheit durch die atomare Strahlung hervorgerufen wurde. Es ist aber natürlich sehr wahrscheinlich.« Entschlossen und eindringlich blickt Herr Murakami mich an. Ich nicke bestätigend. Ich kann mir gut vorstellen, was ihm gerade durch den Kopf geht. »Aber wir hatten ein wunderbares Leben zusammen. Wir haben uns kennengelernt, als wir vierzehn waren, und seitdem waren wir nicht einen Tag getrennt. Ich bin sehr dankbar, dass wir uns so lange hatten.«
»Sie müssen sich sehr geliebt haben …«
»Ja, das haben wir. Und unsere Liebe hat vieles überwunden. Kriege, Armut, schwierige Zeiten. Nur gegen die Krankheit kamen wir nicht an. Krebs ist wie ein Gift. Es frisst sich in den Körper und lässt Sie nicht wieder los. Ein bisschen wie ein Drache, den man nicht besiegen kann.« Er hält einen Moment inne, dann fährt er fort. »Ich wusste damals gar nicht, was eine Atombombe ist. Woher auch. Ich weiß noch, dass ich in der Schule war, als es passierte. Der
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