Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Aber bitte mit Sake

Aber bitte mit Sake

Titel: Aber bitte mit Sake Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dana Phillips
Vom Netzwerk:
Unterricht war gerade zu Ende. Ein paar Schüler sind noch im Klassenraum geblieben. Ich bin nach Hause gegangen, und das hat mir das Leben gerettet. Alle Schüler, die dort geblieben sind, waren sofort tot. Ich muss noch heute oft an sie denken.«
    »Und wie ging es dann weiter?«, frage ich vorsichtig.
    »Ich war schon weiter weg von der Schule, es gab plötzlich diesen blauen Lichtblitz und eine Druckwelle, ich wurde weggeschleudert. Ich wusste ja gar nicht, was passiert war. Irgendwie habe ich es geschafft, mich wieder aufzurichten. Ich bin orientierungslos herumgelaufen. Erst war es still, dann hörte ich Rufe, sah eingestürzte Häuser. Ich bin Menschen auf der Straße begegnet, die waren fast nackt und ihre Haut hing von ihrem Körper herab.« Herr Murakami hält mir seinen Arm entgegen und zeigt mit der anderen Hand auf seine Finger. »Die Haut hat sich überall gelöst und hing von den Fingerspitzen herunter. Als Fetzen, wie Stoff. Einfach so.« Er hält inne. Nach einer kurzen Pause fährt er fort. »Menschen lagen auf der Straße, hielten sich an meinen Beinen fest, flehten um Hilfe. Aber ich konnte ihnen ja nicht helfen. Es war furchtbar.« Gebannt höre ich Herrn Murakamis Geschichte zu. Wie viele tote Menschen er gesehen, wie viele Angehörige er verloren und wie er unter den Folgen der Atombombe zu leiden hatte.
    »Ich wurde stark verbrannt. Über Wochen haben sich meine Wunden am Rücken und im Nacken entzündet. Meine Mutter hat mit Stäbchen die Maden aus dem offenen Fleisch gepickt, immer und immer wieder. Irgendwann hat sie zu mir gesagt, mein Sohn, vielleicht ist es besser, wenn du stirbst.« Ich muss schlucken. Herr Murakamis Geschichte ist so grauenhaft, dass ich sie kaum fassen kann. Die extremen Gegensätze dieses Tages überfordern mich. Erst das lustige und unbeschwerte Sportfest und jetzt diese so persönliche, erschütternde Lebensgeschichte. Einen Moment lange blicke ich ihn schweigend an.
    »Wie haben Sie es geschafft?«, bringe ich dann mühsam hervor.
    »Ich weiß es nicht. Irgendwann waren die Verbrennungen verheilt. Und wie durch ein Wunder bin ich nie wieder krank geworden. Ich bin so dankbar dafür. Gesundheit ist ein hohes Gut. Deshalb achte ich auch sehr auf mich. Das Leben ist kostbar, wissen Sie?«
    »Ja, da haben Sie recht«, entgegne ich. »Manchmal vergisst man das.« Ich bin beeindruckt, was dieser Mann alles durchmachen musste und trotzdem kann ich in seinem Gesicht keine Zeichen von Schwere, Bitterkeit oder Unglück erkennen. Herr Murakami streicht mir über den Arm, eine ungewöhnliche Geste für einen Japaner. Dann lächelt er mich an.
    »Ich freue mich sehr, dass Sie mir zugehört haben. Ich setze mich für eine atomwaffenfreie Welt ein. Und ich würde mich freuen, wenn Sie meine Geschichte weitererzählen.«
    »Ja, natürlich. Es ist bewundernswert, dass sie darüber reden können. Ich wüsste nicht, ob ich das könnte.«
    »Das fällt mir nicht gerade leicht. Aber es ist mir wichtig, dass die Menschen von meinen Erlebnissen erfahren. Ich möchte ihnen klarmachen, wie gefährlich Atomwaffen sind. Und es gibt nicht mehr viele von uns Überlebenden. Irgendwann werden die Menschen, die Hiroshima und Nagasaki erlebt haben, alle tot sein. Dann können sie niemandem mehr davon erzählen. Versprechen Sie mir noch etwas?«
    »Ja?«
    »Gehen Sie behutsam mit Ihrem Körper um. Achten Sie auf sich. Und bewegen Sie sich. Bewegung ist der Schlüssel zu guter Gesundheit und zu einem langen Leben.« Eindringlich blickt er mich an. »Wir müssen uns das nur von den Tieren abschauen. Tiere sind immer in Bewegung. Sie sind ein gutes Vorbild.«
    »Das stimmt.« Herr Murakami nickt zufrieden. Dann steht er auf und verbeugt sich vor mir.
    »Es war sehr nett, Sie kennenzulernen.«
    »Ganz meinerseits«, sage ich etwas erschöpft.
    Nachdem Herr Murakami sich verabschiedet hat, brechen auch die anderen auf. Riku, Yuuku und ich bleiben noch einen Moment zusammen stehen.
    »Wow«, entfährt es mir.
    »Es ist beeindruckend, mit ihnen zu reden, oder?«, sagt Riku und blickt mich ernst an.
    »Und so erschütternd. Es ist so grausam.«
    »Ja«, antwortet er und deutet mit seinem Kinn in die andere Richtung. »Siehst du die alte Dame dort?« Ich blicke mich um und entdecke ein paar Meter hinter uns eine weißhaarige Frau. Sie ist klein und hat ein außergewöhnlich schönes Gesicht. Ihre Haut ist hell und glatt, ihre Augen strahlend blau. Die kinnlangen Haare umspielen ihr Gesicht in Wellen. »Sie

Weitere Kostenlose Bücher