Aber dann kam der Sommer
ich fuhr jeden Vormittag mit dem Auto, und ich begleitete Tante Agnete zu Cocktailpartys, zu Damenkränzchen und Besuchen. Ich las abends vor, ich pflegte Nipp, und ich spielte Bridge – ja, nicht nur das, ich spielte es sogar ganz gut. Jedenfalls behaupteten das die anderen. Gesellschafterin zu sein, war doch ein leichterer Beruf, als ich gedacht hatte.
Nora hatte recht, Tante Agnete brauchte mich, und zwar nicht nur als Objekt, zu dem sie nett sein konnte – nett auf ihre eigentümliche, manchmal beinahe unfreundliche Art – , sondern sie brauchte mich oft, um ihren Ärger und ihre schlechte Laune an mir auszulassen. Aber daran hatte ich mich gewöhnt. Ich machte es so wie der Chauffeur und die Hausmädchen: ich ließ es zum einen Ohr hinein- und zum anderen hinausgehen und bezog mein Gehalt für meine Eigenschaft als Blitzableiter.
Doch eines Tages wurde Tante Agnete so böse, daß ich glaubte, nun sei alles aus. Sie sah aus, als wollte sie im nächsten Augenblick explodieren.
Es begann damit, daß ich in aller Harmlosigkeit von den Reitstunden erzählte. Ich war eben heimgekommen und saß, noch im Reitanzug, im Zimmer von Tante Agnete und trank eine Tasse Kaffee, während sie sich vor dem Toilettentisch das Haar machte und die Nägel lackierte.
„Du kannst dir einfach nicht vorstellen, Tante Agnete, was für ein bezauberndes Pferd Dyveke ist. Manchmal könnte man glauben, sie habe Menschenverstand. Wir sind so gute Freunde, daß ich bei ihr weder Peitsche noch Sporen brauche. Sie begreift alles sofort. Leutnant Thorne sagt, Dyveke und ich seien füreinander geschaffen. Und denk mal, Tante Agnete, heute bin ich zum erstenmal gesprungen. Das hätte ich auf einem anderen Pferd nie im Leben gewagt.“
So schwatzte und erzählte ich, und Tante Agnete lächelte und war in bester Laune.
„Ich möchte dich reiten sehen“, sagte sie und wandte sich zu mir um. „Veranlasse, daß die Stunden auf eine spätere Zeit verlegt werden. Du kannst ja nachmittags reiten.“
„Jaaa“, sagte ich gedehnt. „Weißt du, Tante Agnete, ursprünglich hatte ich sowieso vorgehabt, täglich zwischen fünf und sechs Uhr zu reiten, und es war auch so bestellt. Aber um diese Zeit wollte Fräulein Berger so gerne reiten, und sie will absolut kein anderes Pferd als Dyveke. Darum…“
Da geschah es. Tante Agnete wurde kupferrot im Gesicht.
„Berger? Du willst doch damit nicht etwa sagen, daß meine Nichte vor Ellinor Berger den Platz räumt?“
„Gott, ja, eine von uns mußte doch schließlich…“
„Du reitest ab morgen um fünf Uhr! Und du reitest das Pferd, das du wünschst!“
„Ja, aber, liebe Tante, das wird doch dumm für Fräulein Berger, wenn ich…“
„Die Tochter vom Geschäftsführer Berger hat sich nicht vor meine Nichte zu drängen. Dein Verhalten ist mir völlig unbegreiflich, Unni. Nach allem, was ich für dich getan habe, gehst du hin und demütigst dich vor Ellinor Berger? Denkst du denn nicht einen Augenblick daran, was Berger Ditlef angetan hat – und deinem Onkel, meinem lieben Franz? Hast du es nötig, dich klein und bescheiden zu geben vor einem Mann, der – einem Mann, der…“ Die Stimme versagte, und Tante Agnete schnappte nach Luft.
„Aber, Tante Agnete, ich ahnte ja gar nicht, was…“
„Hat dir Ditlef nichts über Berger erzählt?“
„Er hat wohl mal etwas angedeutet, aber ich weiß nicht…“
„Na, siehst du! Selbstverständlich hat er die Sache erwähnt. Und dann gehst du hin und gibst dem Mädchen den Vortritt! Du läßt sie über dich triumphieren! über meine Nichte! über Franz’ Nichte! – Du reitest um fünf Uhr, und zwar ab morgen!“
„Aber, liebe Tante, könntest du nicht…“ Ich wollte sagen: ,… mal erzählen, was Berger eigentlich getan hat’, doch soweit kam ich gar nicht.
„O ja, ich weiß, was ich kann! Geh ans Telefon und wähle Ditlefs Nummer!“
Ich tat, was sie verlangte, und die Tante nahm mir den Hörer ab: „Ditlef, ich muß mit dir sprechen! – Was? Zuviel zu tun? Ach was, eine halbe Stunde wirst du für deine alte Tante schon übrig haben. – Ja, es ist wichtig. Ich muß mit dir so schnell wie irgend möglich darüber sprechen. – Danke, Ditlefmann, ich wußte, daß du kommen würdest.“
Eine Dreiviertelstunde später war er da. Was die Tante und der „liebe Ditlefmann“ sagten, weiß ich nicht, denn sie verhandelten im kleinen Zimmer hinter verschlossener Tür miteinander. Nur ab und zu hörte ich die Stimme der Tante, wenn sie
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