Aber dann kam der Sommer
ihre Klagen an, schrieb ein Rezept aus, zeigte sein unentwegtes Lächeln und ging.
Ich war gespannt auf diesen Abend. Ich wollte gern Doktor Bogards Heim kennenlernen. Den Abend, an dem ich ihn Bach spielen hörte, hatte ich nicht vergessen. Er interessierte mich.
Seine Frau empfing uns in einem engen, schwarzen, golddurchwirkten Brokatkleid, die Füße mit rotlackierten Nägeln steckten in hochhackigen, goldenen Sandaletten. Verrückt – aber schick!
Wir aßen an der polierten Tischplatte, auf der nur kleine, farbige Decken lagen, wir tranken Kaffee aus henkellosen Messingbechern – dicken, schwarzen, türkischen Kaffee mit viel Zucker. Wir bekamen Wein aus verstaubten Flaschen und merkwürdige Gerichte, von denen ich nicht den Namen wußte, geschweige denn erraten konnte, woraus sie zusammengesetzt waren. Aber es schmeckte alles wunderbar, und der Wein versetzte uns in eine herrlich beschwingte Stimmung.
Inzwischen war ich trainiert im Weintrinken. Ich bekam keinen Brummschädel mehr von ein paar Gläsern Weißwein oder Burgunder und einem Sherry hinterher. An diesem Abend trank ich mich tapfer durch eine ganze Reihe verschiedener Weinsorten, darunter auch Tokayer, den ich noch nie zuvor probiert hatte.
„Heute geht’s in Serpentinen nach Hause“, meinte Lilli lachend, während sie ihr zweites Glas leerte.
„Immer auf dem Huf schlag an der Hauswand entlang, und leichten Schenkeldruck!“ schlug Dankertsen vor.
„Wer läßt mal die Zigaretten eine Volte über den Tisch machen?“ rief Frau Rawen herüber.
Steen streckte die Beine weit von sich, drehte den Kopf zu mir um und lachte mich an. „Amüsierst du dich, Unni?“
„Prächtig!“ lachte ich zurück. „Und du?“
„Auch! Komm, tanzen wir!“
Vera hatte den Plattenspieler in Bewegung gesetzt. Wir tanzten in dem großen, halbdunklen Speisezimmer, wo man den Tisch beiseite gestellt hatte.
„Du tanzt gut, Unni. Da steckt Rhythmus in dir, genau wie beim Reiten.“ Und Roar Steen drückte mich ein klein wenig fester an sich. Weiter wurde nichts gesprochen. Wir tanzten nur. Er war genau passend größer als ich, und auch er hatte Rhythmus. Die gedämpfte Beleuchtung war wie eine weiche Umhüllung, der Tokayer war so süß und die Musik so einschmeichelnd, und Roar Steen sah so gut aus in seiner Uniform. Und als der Tanz zu Ende war, erschien es mir geradezu logisch, daß Roar seinen Arm fester um mich legte und mich küßte. Dann saßen wir wieder zwischen den anderen, wir bekamen noch mehr Zigaretten und noch mehr Wein.
Nachher kam der Doktor nach Hause. Er hatte noch im Laboratorium gearbeitet. Was er dort machte, danach fragte niemand, seine Frau erst recht nicht. Sie war wohl daran gewöhnt, daß er zu jeder Tages- und Nachtzeit fort war und heimkam, wann es ihm paßte. Er glitt, ohne zu stören und ohne viel zu sagen, in die Gesellschaft.
Doch plötzlich wandte sich Roar Steen an ihn: „Interessieren Sie sich gar nicht für Pferde, Doktor?“
Ehe Doktor Bogard antworten konnte, sagte Lilli lachend:
„O doch, Doktor Bogard würde am liebsten alle unsere Pferde mit Diphteriebazillen impfen, um Serum daraus zu machen.“
„Nicht alle“, sagte der Doktor ruhig, „Veras Pferd würde ich in Frieden lassen. Haben Sie schon das Gemälde von Vera auf Blanche gesehen?“
Wir gingen mit ihm hinüber in das große Wohnzimmer. Eine der Wände dort war mit einem einzigen großen Bild geschmückt: Vera Bogard auf dem weißen Pferd. Der Doktor starrte schweigend darauf. Ich beobachtete ihn heimlich. So, wie er jetzt, mußte ein fanatischer Mönch aussehen, der Andacht hält.
„Ich habe ein hübsches Haus“, hatte Doktor Bogard an dem ersten Donnerstag gesagt, den ich bei Tante Agnete erlebte. Ja, er hatte recht. Jeder Stuhl, jede Decke, jedes einzelne kleine Ding war mit wählerischem Geschmack ausgesucht. Da gab es keine „originellen und modernen“ Sachen, sondern nur edles Holz, reine Stilarten und wunderbare Bilder. Und wahrhaftig, die elegante Frau des Arztes paßte genau hierher, sie war gleichsam ein Teil der Einrichtung.
Wir tranken noch mehr Wein. Der Doktor saß still mit seinem Glas in der Hand und betrachtete es fast liebevoll.
„Ich liebe es, mir etwas Schönes anzusehen“, hatte er gesagt. Ja, diesen Satz konnte man beinahe als Motto für sein ganzes Dasein setzen.
Und während Unterhaltung und Lachen sich noch steigerten und Roar in der Sofaecke saß und den Arm um mich gelegt hatte, glitt der
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