Aber dann kam der Sommer
Statt der Nachspeisen aus Unmengen von Eiern and Sahne hatten wir leichte Fruchtgerichte. Marie kauft teures Gemüse und kocht es viel zu lange. Ich habe dir nur Kohl, Mohrrüben, Kohlrabi und andere preisgünstige Sachen vorgesetzt und sie mit geriebenen, rohen Äpfeln veredelt. Ich habe soviel wie möglich Ungekochtes auf den Tisch gebracht; dadurch blieben die nahrhaften Stoffe erhalten.“
Ich legte eine Pause ein, um Luft zu holen. Die Tante saß ganz still und schaute mich an. Ausnahmsweise wußte sie einmal nicht, was sie sagen sollte. Und ehe ihr etwas einfiel, klingelte es, und Doktor Bogard erschien. Klein, dünn, blaß, etwas kahl über der Stirn, stand er in der Tür. Ich entschuldigte mich damit, daß ich in der Küche zu tun hätte, und verschwand.
Doch als der Doktor fortgehen wollte, traf ich mit ihm in der Halle zusammen. Er blieb vor mir stehen und betrachtete mich eine Weile. Dann fragte er: „Wie alt sind Sie?“
„Wie bitte?“
„Wie alt sind Sie?“
„Einundzwanzigeinhalb.“
„Ich bin siebenundvierzig. Was ich mit Hilfe der Wissenschaft in acht Jahren Ihrer Tante vergeblich beizubringen versucht habe, das haben Sie in einer Woche mit wohlschmeckendem Essen geschafft. Der Herrgott mag wissen, wozu wir Ärzte eigentlich nütze sind.“ Und plötzlich bekam sein merkwürdig kleines Gesicht einen ganz neuen Ausdruck. Das aufgesetzte, starre Lächeln verschwand und machte einem richtigen, herzlichen, warmen Lächeln Platz. „Sie sind direkt vom Himmel herab in dieses Haus gesandt, Fräulein Björk“, sagte Doktor Bogard und drückte meine beiden Hände.
Oh, wie unverdient war das, wie unverdient!
Ich hatte gefaulenzt, hatte Geschenke entgegengenommen, war von einer Party zur anderen gegangen – ein halbes Jahr lang. Und dann stellte ich mich nur ein paar Tage hin und kochte einfach so, wie es Mutti und Vati mich gelehrt hatten, und schon bekam ich zu hören, der Himmel habe mich gesandt. Dieses Kompliment hätten meine Eltern bekommen müssen – nicht ich.
Ein Pferd und eine Verlobung
In der letzten Zeit hatte ich die Reitstunden geschwänzt – oder richtiger gesagt, ich war vom Kochen und Einkaufen zu sehr in Anspruch genommen, daß ich keine Zeit zum Reiten gefunden hätte. Doch da rief Vera Bogard an und fragte, ob ich nicht beim Unterricht im Springen mitmachen wolle. Es seien dazu Extrastunden angesetzt worden, und zwar morgens zwischen acht und neun Uhr, damit die Herren daran teilnehmen könnten, bevor sie in ihre Büros gingen.
Ja, um diese Stunde konnte ich mir wohl ein wenig Zeit dazu nehmen.
Es machte Spaß, die Freunde vom Reitklub wiederzutreffen. Aber Dyveke gefiel mir nicht recht. Sie war so verschreckt und scheu, ich fand nicht gleich wieder Kontakt mit ihr.
„Das ist Ellinors Schuld“, plapperte Lilli Brahmer, „letzte Woche hat sie sie dauernd geritten – und so hart! Gestern gebrauchte sie die Sporen, daß sie blutete. Ellinor sagte übrigens, sie wolle Dyveke kaufen. Sie wolle ihr eigenes Pferd haben.“
Mit einem Ruck hielt ich an, mitten in einer Volte. Dyveke? Ellinor Berger wollte Dyveke kaufen?
„Unni, was hast du denn?“ fragte Vera Bogard, die an meine Seite geritten war.
„Ach – nichts!“ murmelte ich und würgte die Tränen hinunter. Ich saß ab und brachte das Pferd in den Stall. Dann ging ich nach Hause und sofort zu Tante Agnete. Diesmal geschah es nicht aus Berechnung oder Diplomatie, sondern es war mir ein ganz natürliches Bedürfnis, mich mit meinem Kummer an sie zu wenden.
„Aber, liebe Unni!“ sagte die Tante verwundert. Sie läutete und ließ von Louise meinen Kaffee bringen. Ich versuchte, einen Schluck zu trinken, doch ich konnte es nicht. Meine Tränen fielen in die Tasse.
„Aber Unni, was ist denn los?“
„Ach, Tante Agnete, es ist, weil – weil…“ Die Worte blieben mir im Halse stecken, und die Tränen strömten.
Arme Tante Agnete! Sie streichelte über mein Haar mit rührend unbeholfener Hand. Aber dieses ungeschickte Streicheln sagte mir so viel. Unter Schluchzen begann ich endlich zu erzählen.
„Weißt du, Tante Agnete, ich habe doch Dyveke so lieb, so schrecklich lieb. Und heute war sie blutig von Fräulein Bergers Sporen – und so nervös – und so schreckhaft. Und nun – und nun soll ich sie nie mehr reiten können. Keinen Schritt tue ich mehr auf diese Reitbahn, wenn Fräulein Berger Dyveke kauft, und…“
Die Hand der Tante glitt von meinem Kopf.
„Beherrsche dich, Unni, und rede
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