Aber Mutter weinet sehr: Psychothriller (German Edition)
Frau vergewaltigt. Sie war über achtzig gewesen, und sie hatte mit dem Täter zusammen in einer Gartenlaube gefeiert. So etwas meinte Fürbringer wahrscheinlich nicht.
Der Kommissar nahm sich mit dem viel zu großen Löffel Zucker und goss Milch in seinen Kaffee. Er rührte lange. »Seit heute Nacht befragen wir systematisch Zeugen. Anwohner. Menschen, die auf dem Nachhauseweg von Johann zu tun hatten. Alle, die als Zeugen infrage kommen. Wir haben heute Morgen Handzettel verteilt. Ihr Mann hat uns ein aktuelles Foto von Johann zur Verfügung gestellt. Das wird allen Polizeidienststellen in Deutschland, Österreich und der Schweiz geschickt. Wir haben im Internet um Mithilfe gebeten. Frau Lieser, Sie sehen, es geschieht vieles gleichzeitig.«
Marie nickte. Jetzt war es ihr unangenehm, dass sie Fürbringer so zugesetzt hatte. Im Grunde benahm sie sich wie eine heillos überforderte Mutter.
»Welches Foto hast du ihnen gegeben?«, wandte sie sich an Robert.
»Das er für den Schülerausweis hatte machen lassen.«
Marie hatte nichts davon mitbekommen. Vielleicht war es ja während ihrer Ohnmacht geschehen.
Fürbringers Handy läutete. Er ging ran. Während er zuhörte, trank er hastig die Tasse leer. Dann versprach er dem Anrufer, sofort zu kommen, und legte auf.
7
Robert wollte, dass Marie zur Arbeit ging. Er sagte, sie müsse sich ablenken.
Marie hatte das Gefühl, dass er sie loswerden wollte. Wahrscheinlich rechnete er damit, dass Fürbringer bald mit Neuigkeiten kommen würde, und hielt es für besser, wenn er dann allein mit dem Kommissar sprechen konnte.
»Ich kann nicht arbeiten gehen. Mein Kind ist weg. Du gehst ja auch nicht in die Schule«, sagte sie.
Da tat Robert etwas, womit Marie nicht gerechnet hatte: Er nahm sie in den Arm.
Er trat auf sie zu und umarmte sie einfach. Das hatte er schon lange nicht mehr getan. Marie musste weinen.
Robert hielt sie fest. Sie weinte, und er hielt sie fest. Vielleicht weinte er auch. Wenn er das tat, dann tat er es unhörbar.
Es war wie früher. Früher hatte Robert das öfter getan. Wenn sie traurig war oder nicht mehr weiterwusste. Robert hatte sie dann lange umarmt. Irgendwann aber hatte er damit aufgehört. Als Johann kam.
Marie war glücklich, dass er es jetzt wieder tat. Sie entspannte sich. Jetzt erst bemerkte sie, unter welchem Druck sie in den letzten Stunden gestanden hatte.
»Lass uns das zusammen durchstehen«, sagte Robert leise.
Ja, sie mussten es zusammen durchstehen. Anders würden sie es nicht schaffen. Marie jedenfalls nicht. Das war ihr klar. Mit Robert hatte sie eine Chance. Wozu sonst war man denn Mann und Frau?
»Du bist doch total fertig«, fuhr Robert fort. »Warum legst du dich nicht hin? Ich halte hier die Stellung.« Und er umarmte sie immer noch. So fest wie früher. »Sobald sich etwas tut, wecke ich dich.«
Marie machte sich los. »Wirklich?«
»Natürlich. Nichts geschieht ohne dich.«
»Ich will nicht, dass du mich schonst, hörst du?«
Jetzt ließ auch Robert sie los. Er schaute ihr in die Augen. Sein Blick war klar und offen. »Ich habe das mit Johanns Fahrrad getan, weil ich Angst um dich hatte. Ich wollte dich schützen. Ich dachte, es ist besser, es dir nach und nach beizubringen. Und ich habe gehofft, dass Johann doch noch auftaucht. Es tut mir leid.«
Er küsste sie. Marie ließ es geschehen. Womöglich hatte sie Robert Unrecht getan. Aber das mit dem Fahrrad und der Mütze, das hätte er nicht tun dürfen. Sie war jetzt zu müde, um noch etwas dazu zu sagen.
Robert ging mit ihr ins Schlafzimmer. Sie legte sich in den Kleidern aufs Bett. Er deckte sie zu. Dann zog er die Vorhänge zu und ging hinaus. Marie schlief augenblicklich ein.
Sie erwachte nicht, weil Robert sie weckte. Es war etwas anderes. Marie brauchte eine Weile, dann wusste sie es: das Gartentor. Jemand war durch das Gartentor gegangen.
Wenig später läutete es an der Haustür. Robert öffnete. Marie hörte Stimmen.
Sie blieb liegen und wartete. Die Stimmen verschwanden in der Küche. Die Küchentür wurde geschlossen. Die Stimmen waren nicht mehr zu hören.
Marie wartete darauf, dass Robert sie holte. Doch er kam nicht.
Die Stimmen in der Küche erschienen wie ein undeutliches Murmeln. Marie warf die Decke zurück und stand auf.
Sie saßen am Tisch und beugten sich über etwas.
Als Marie eintrat, schaute Robert auf. Er lächelte schwach. Es war kein gelöstes Lächeln.
Jetzt bemerkte auch Fürbringer Marie. Er stieß seinen Nebenmann an,
Weitere Kostenlose Bücher