Abgang ist allerwärts
»Schönwetterbericht« beendet. Es gab heftigen Beifall für die Ausführungen und die beiden Präsidiumsmitglieder links und rechts neben ihm klatschten ebenfalls begeistert in die Hände. Dieses Trio der vorgeblich Ahnungslosen am Vorstandstisch erinnerte mich an die drei Heiligen Affen. Was mich anlangt, ging es mir durch den Kopf, so wollte ich weder für heilig, noch für einen Affen gehalten werden.
Wider besseres Wissen war ich dann, gleich im Anschluss an diesen fabelhaften Bericht, auf den Kollegen Stellvertreter zugegangen, um ihn auf meine Probleme aufmerksam zu machen und um die Unterstützung des Verbandes zu bitten. Denn wie seit kurzem mit meinen Texten umgegangen würde, sei in dieser massiven Form ja wohl kein Zufall und würde für mich verdächtig nach Zensur riechen. Der Stellvertreter, dem kleine Schweißperlen auf der Stirn standen, hatte mich kurz reden lassen, dann hastig seine Brille abgenommen und während er sie mit dem unteren Ende seiner Krawatte putzte, erklärt, dass er da leider gar nichts tun könne, denn Theater, Funk und Fernsehen seien nun mal souveräne Kultureinrichtungen. Und deren Entscheidungen müsse man akzeptieren, auch wenn das manchmal nicht einfach sei. Ich wäre ja nicht der einzige, der ab und zu einige Schwierigkeiten hätte. Ihm sei so etwas auch schon passiert. Gerade ich könne mich doch wirklich nicht beklagen. Der Kollege Stellvertreter war offensichtlich gut informiert worden. Dann ging er nur auf einen Punkt meiner Beschwerde ein: Das mit der Behauptung einer angeblichen Zensur sollte ich in Zukunft besser unterlassen, das würde mir nur Ärger einbringen, und das wollen wir doch nicht, fügte er in väterlichem Tonfall hinzu. Mit diesen Worten setzte er seine nun blanke Brille wieder auf und sah mich mit seinen vergrößerten Augen jovial an. Es hätte nur noch gefehlt, dass er mir gönnerhaft auf die Schulter klopfte. Ich nickte nur kurz, drehte mich auf dem Absatz um und verließ wortlos den Versammlungsraum. Damit war endgültig klar, was ich im Grunde schon gewusst hatte: von Seiten des Verbandes war nichts zu erwarten. Was jetzt noch zu tun war, konnte mir niemand abnehmen. Hundertmal hatte ich die Formulierungen im Kopf hin und her gewälzt, die Gründe, warum nun auch ich dieses halbe Land verlassen wollte. Zwei, drei Briefentwürfe hatte ich ebenfalls schon geschrieben. Aber jetzt musste der letzte, entscheidende Schritt getan werden, der Brief musste endgültig verfasst und im Ministerium persönlich abgegeben werden. Das wollte ich nun, ohne noch lange zu zögern, hinter mich bringen, zu leicht konnte aus einer weiteren Bedenkzeit eine Zeit neuer Bedenken werden. Bis fast um Mitternacht desselben Tages hatte ich vor meiner Schreibmaschine gesessen, um den Brief zu formulieren und mit drei Kopien aufzuschreiben. Nachdem ich das Kuvert mit den eng beschriebenen Seiten verschlossen hatte, war ich erleichtert.
Bereits am nächsten Vormittag ging ich zu Fuß in Richtung Nikolaiviertel. Mein Herz schlug bis zum Hals, obwohl ich mich eher zögernd dem preußischen Verwaltungsbau näherte. Ich spürte nun deutlich, dass es ein gewaltiger Unterschied war, nur mit dem Gedanken zu spielen, einen solchen Antrag abzugeben und es wirklich zu tun. Nachdem mir der Empfang des Briefes im Foyer des Ministeriums bestätigt worden war, verließ ich fast erleichtert die halbdunkle Halle. Aber schon auf dem Rückweg drängte sich ein neuer Gedanke auf: Was, wenn sie mich über Nacht hinauswerfen würden, wie sie es mit einigen Leuten vor mir schon getan hatten? Was würde dann aus meinem immer noch nicht fertigen Haus? Und wie würden diejenigen dort reagieren, für die ich mit den Jahren immer mehr einer der ihren geworden war? Aber dann gestand ich mir ein, dass das mit dem Haus im Grunde nicht wichtig war, das mit den Leuten im Dorf würde schwerer werden.
Ich beschloss, auf jeden Fall erst einmal aufs Land zurückzukehren. In den nächsten Tagen wollte ich nicht das Klingeln des Telefons hören, keine Hallo-wie-geht´s-dir-Besuche empfangen, ganz einfach nicht erreichbar sein. Und ich hatte mir vorgenommen, im Dorf vorerst nichts über die neue Situation zu erzählen, denn dem Anschein nach hatte sich ja auch nichts geändert.
Dennoch meldete sich manchmal das schlechtes Gewissen, vor allem, wenn von meiner Zukunft im Dorf gesprochen wurde: »Wart´s nur ab«, hatte Gottfried mit der Maurerkelle in der Hand prophezeit. »In einem Jahr ist dein Haus das
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