Abgeferkelt: Roman (German Edition)
Fotos.«
Na, super, dachte Kati. Da konnte sie sich ja auf einiges gefasst machen. Ein letztes Mal überflog sie ihren Artikel und versuchte, so selbstkritisch wie möglich zu sein. Doch sie konnte nicht anders: Sie fand den Text gut, und genau das würde sie Larsen auch ins Gesicht sagen, wenn er es wagen sollte, daran rumzumäkeln. Mit zitternden Knien ging sie den Flur hinunter zu seinem Büro, klopfte und trat ein.
Er saß hinter seinem Schreibtisch und hob genervt den Kopf. »Ich kann mich nicht erinnern, ›Herein‹ gerufen zu haben.«
»Entschuldigung. Ich wollte nur schnell meinen Artikel über den Sponsoren-Lauf reinbringen.«
»Für solche Fälle habe ich draußen im Sekretariat eine Ablage.«
Sie wurde rot. »Aber Manolo sagte doch …«
»Nun geben Sie schon her.« Er streckte die Hand nach den Seiten aus, zuckte aber sofort zurück, als er dabei zufällig ihre Fingerspitzen berührte. »Fotos haben Sie auch dazu?«
»Hier sind die Ausdrucke. Ich hab den Text und die Bilddateien im System abgespeichert.«
»Das erleichtert mich zutiefst. Sonst noch was?«
»Ähm.« Kati kam sich mit einem Mal unglaublich blöd vor. »Ich dachte, Sie wollten den Artikel lesen und mit mir durchsprechen.«
»Sehe ich aus wie Ihr persönlicher Schreibcoach?«
Beschämt trat sie einen Schritt zurück. »Nein, natürlich nicht. Entschuldigen Sie die Störung.«
Er starrte ihr nach, während sie auf ihren albernen Schuhen aus seinem Büro trippelte. Was dachte die sich eigentlich? Dass er nichts anderes zu tun hatte, als sie zu bespaßen? Abgesehen davon machte ihn das Klacken ihrer hohen Absätze fast wahn-sin-nig. Wie brachte sie es nur fertig, darauf geradeaus zu gehen, ohne umzuknicken? Isabel, seine Frau, hatte niemals ein annähernd unvernünftiges Paar Schuhe besessen. Allerdings war sie auch keine annähernd so unvernünftige Frau. Schminke, modische Kleidung und Accessoires hatte sie noch nie nötig gehabt, um sich selbst in Szene zu setzen. Isabel schmückte sich lieber mit ihrem Intellekt, und genau das schätzte Jonas an ihr. Das und ihre nüchterne Art, ihre unbestechliche Sachlichkeit und ihre Loyalität, von der er bis vor kurzem geglaubt hatte, dass sie niemals ins Wanken geraten könne.
Falsch gedacht. Jonas fuhr sich mit der Hand über die Augen. Er musste noch einen Artikel fertigschreiben. Und dann wahrscheinlich den Text von dieser dämlichen Margold in lesbares Deutsch verwandeln – denn er bezweifelte stark, dass sie dazu in der Lage war, einen anständigen Bericht zu verfassen. Seufzend zog er ihren Papierstapel zu sich herüber, warf einen Blick auf die ausgedruckten Fotos – und erstarrte. Das Gesicht seines eigenen Sohnes strahlte ihm entgegen: Benny. Verschwitzt, erschöpft, aber definitiv mit einem triumphierenden Lächeln auf den Lippen. War das jetzt Zufall? Hektisch griff er nach dem Artikel und traute seinen Augen nicht, als er die Überschrift las: »Benny läuft nach Indien«. Jonas beugte sich vor und verschlang jedes einzelne Wort.
Er spielt mit den Schnürsenkeln und denkt nicht im Traum daran, an den Start zu gehen. »Mir sieht ja doch keiner zu«, sagt der neunjährige Benny, Viertklässler an der Geschwister-Scholl-Schule. Dass heute der große Sponsoren-Lauf stattfindet, ist ihm eigentlich nicht egal: Er rennt gerne, und er ist schnell. »Ich laufe von hier bis nach Indien, wenn ich will«, erzählt er …
Ohne ein einziges Mal Luft zu holen, las Jonas den Text bis zum letzten Satz durch. Sein Herzschlag beschleunigte sich, seine Hände wurden eiskalt. Die Geschichte war überraschend gut geschrieben, das musste er dieser durchgedrehten Kosmetikerin lassen. Sogar einfühlsam erzählt, mit der richtigen Gewichtung von Fakten und Gefühl. Und doch bezweifelte er, dass seinem neunjährigen Sohn klar gewesen war, wem er da so vertrauensvoll sein Herz ausgeschüttet hatte. Oder dass Benny seine Traurigkeit darüber, ohne seine Eltern am Staffellauf teilnehmen zu müssen, am nächsten Tag in der Zeitung dokumentiert sehen wollte.
Wut stieg in Jonas hoch, in erster Linie auf sich selbst. Wieso hatte er nicht gemerkt, wie viel seinem Sohn diese Schulveranstaltung bedeutete? Die Antwort lag auf der Hand und beschämte ihn: weil er seine Kinder kaum noch zu Gesicht bekam, geschweige denn mit ihnen redete. Wenn er ehrlich zu sich selbst war, musste er sich eingestehen, dass er nicht die geringste Ahnung hatte, was Benny und seine Schwestern gerade umtrieb. Worüber sie sich
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