Abgeferkelt: Roman (German Edition)
bog um die Ecke und entdeckte eine Telefonzelle am Straßenrand. Sofort stieg Kati in die Bremsen. Ob Ralf nur halb so oft an sie dachte wie sie an ihn? Sie vermisste ihr altes Leben mit ihm, die Selbstverständlichkeit, morgens neben ihm aufzuwachen und abends mit ihm einzuschlafen. Wie magnetisch angezogen stellte sie ihr Fahrrad ab, betrat die Telefonzelle und warf ein paar Münzen ein. Mit zitternden Fingern tippte sie ihre alte Telefonnummer in die Tastatur, hörte das Rufzeichen und wartete. Sekunden verstrichen.
»Ahlers?«, meldete sich Chantal am anderen Ende der Leitung.
Kati knallte den Hörer auf die Gabel zurück. Ob Ralf sie vermisste? Nun, diese Frage wäre hiermit beantwortet.
14.
A m Ende ihrer ersten Arbeitswoche bekam Kati einen Leseranruf. »Mein Name ist Westphal«, meldete sich ein älterer Herr mit sonorer Stimme. »Ich rufe wegen Ihres Artikels über die Jahreshauptversammlung des Landfrauenvereins Wittgenborstel an.«
»Tatsächlich?« Kati klang gehetzt. Sie quälte sich gerade durch ein gefühltes Dutzend Kurzmeldungen, die sie bis zum Redaktionsschluss noch fertigschreiben musste, und war nicht in Plauderstimmung. »Worum geht’s denn?«
»Vielleicht nehmen Sie erst einmal die Presse-Einladung zur Hand, die Sie vorab zugeschickt bekommen haben«, schlug Herr Westphal vor.
»Wie bitte?«
»Ich möchte, dass Sie nachvollziehen können, was ich anzumerken habe.«
»Nun, das ist sehr nett von Ihnen. Aber ehrlich gesagt fehlt mir im Moment die Zeit, um …«
»Ihr Artikel ist fehlerhaft«, unterbrach Herr Westphal sie scharf. »Sie haben wesentliche Informationen einfach weggelassen.«
»Ich habe was? « Kati war sich keiner Schuld bewusst. Der Termin vom Vortag hatte sie in den tristen Festsaal einer Dorfgaststätte geführt, in dem es noch bis ans Ende aller Tage nach abgestandenem Rauch und erkaltetem Bratfett riechen würde. Fast 300 Landfrauen waren zur Jahreshauptversammlung erschienen, und für jede einzelne hatte es ein Kaffeegedeck mit Bienenstich und Streusel-Schnecke gegeben. Die Schatzmeisterin war entlastet, die Vorsitzende samt Stellvertreterin einstimmig wiedergewählt worden. Und damit, so meinte Kati noch immer, hatte sie alle harten Fakten recherchiert und peinlichst genau wiedergegeben. Was sollte also fehlen?
»Sie haben den Tischschmuck vergessen!«, polterte Herr Westphal drauflos. »Dabei stand’s extra unten auf der Einladung!«
»Den Tischschmuck?! « Einigermaßen verdattert runzelte Kati die Stirn. »Aber was …«
»Da steht’s doch, schwarz auf weiß: ›Für den Tischschmuck zeichnet Annemarie Rengers verantwortlich.‹ Aber davon lese ich nichts in Ihrem Artikel, kein einziges Wort!«
Okay, dieser Punkt ging an ihn. »Das habe ich unerwähnt gelassen«, räumte Kai ein. »Eine reine Platzfrage. In einem Text von 40 Zeilen kann man leider nicht jedes Detail unterbringen.«
»Ach, und für den Bienenstich war Platz?«
»Und für die Streusel-Schnecke. Aber was haben Sie eigentlich mit dem Tischschmuck der Landfrauen zu tun?«
»Da kommt man nicht gleich drauf, denn ich heiße Westphal«, sagte Herr Westphal. »Frau Rengers ist meine Schwester und weit über Wittgenborstel hinaus bekannt für ihren Tischschmuck.«
Kati rief sich die grellbunten Plastikgestecke in Erinnerung, die in klobigen Vasen mit brauner Häkelborte zwischen den Kaffeetassen gestanden hatten, und entgegnete lahm: »Das kann ich mir vorstellen.«
»Abgesehen davon haben sich heute alle im Dorf sehr darüber geärgert, dass Sie das Bild von der Vorsitzenden auf einer Schwarzweiß-Seite abgedruckt haben.«
»Bitte? Warum denn das?«
»Na, so kommen die Farben des herrlichen Blumenstraußes doch gar nicht zur Geltung, den der Verein ihr überreicht hat!«
»Wollen Sie damit sagen …«
»Natürlich haben wir alle erwartet, dass dieses Bild in Farbe gebracht wird«, fiel Westphal ihr ins Wort. »Als Schmuck-Foto, verstehen Sie?«
Es lag Kati auf der Zunge, zu sagen, dass ein Blumenstrauß schon verdammt groß ausfallen müsste, um ein Motiv wie die abgehalfterte Landfrauen-Vorsitzende zum Schmuck-Foto zu befördern. Doch sie hielt sich in letzter Sekunde zurück und antwortete nur: »Es tut mir leid, dass wir Ihre Erwartungen enttäuscht haben.«
»Ich war heute kurz davor, mein Abo abzubestellen. Und ich kenne einige Leute in Wittgenborstel, denen es genauso ging.«
In Zeiten sinkender Anzeigen-Erlöse und Abonnenten-Zahlen war das natürlich eine ernstzunehmende
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