Abgeferkelt: Roman (German Edition)
Junge neben ihr. »Ich bin schneller als der.«
Sie warf ihm einen skeptischen Blick zu. »Sicher?«
»’türlich. Ich lauf von hier bis nach Indien, wenn ich will.«
»Aber du willst nicht«, stellte Kati fest.
»Nö.«
»Tja, dann werde ich wohl nie rausfinden, ob du wirklich schneller bist.«
»Interessiert doch eh keinen.«
»Hätte ich gefragt, wenn es mich nicht interessieren würde?«
»Ich kenn dich doch gar nicht.«
»Oh, entschuldige, das hab ich vergessen.« Sie lächelte und streckte ihm die Hand hin. »Ich bin Kati. Und du?«
Er nahm ihre Hand nicht und wich ihrem Blick aus. Aber dann sagte er leise: »Benny.«
»Freut mich. Na, ich fürchte, ich muss so langsam weiter. Und da das mit dir und Indien heute ja nix mehr wird …« Sie stand auf.
»Vielleicht lauf ich ja doch noch.«
»Super Idee. Wenn du mitmachst, kommen die Kinder in Indien auch schneller an ihr neues Klo.«
»Hä?«, fragte er und starrte sie mit großen Augen an.
»Du weißt doch, dass jeder Lauf Geld für die Kinder in Indien einbringt, oder? Und wenn du wirklich schneller bist als alle anderen, könntest du die Strecke ja noch öfter laufen und damit noch mehr Geld verdienen.« Sie machte eine Kunstpause und sagte mit Nachdruck: »Auf dich kommt’s an, Benny.«
Er zögerte kurz, ließ dann aber den Kopf sinken. »Mir guckt doch sowieso keiner zu.«
»Na, hör mal. Hier sind doch all deine Schulfreunde und deine Lehrer. Die gucken zu, ganz bestimmt.«
»Ja, aber sonst keiner.«
Etwas ratlos blickte Kati sich um. So eine Kinderseele ließ sich manchmal nur schwer durchschauen. Doch dann fiel ihr eine Mutter auf, die am Rande der Rennstrecke stand und ihrer kleinen Tochter zujubelte. »Los, Clara, du schaffst es«, brüllte die Frau über den Platz, obwohl oder vielleicht auch gerade weil das schmächtig wirkende Mädchen das Schlusslicht der Staffel bildete. Das brachte Kati auf einen Gedanken.
»Deine Eltern sind nicht hier, um dich anzufeuern, stimmt’s?«, fragte sie und setzte sich wieder zu dem Jungen auf die Bank.
Benny starrte stur geradeaus. »Mein Papa arbeitet andauernd«, sagte er leise. »Und meine Mama …«
»Ja?«
»Die ist weggegangen.«
»Oh. Okay«, meinte Kati. Sie ließ ein paar Sekunden verstreichen, bevor sie vorschlug: »Aber ich könnte dich doch anfeuern.«
»Das ist nicht dasselbe.«
»Für die Kinder in Indien schon.« Als sie daraufhin wieder in das fragende Gesicht des Jungen blickte, erklärte sie ihm: »Sieh mal, ich verstehe, dass es blöd für dich ist, wenn deine Eltern heute nicht hier sein können. Aber du bist trotzdem nicht allein: Du hast deine Freunde, deine Lehrer und mich, und wir alle sind hier, um dich laufen zu sehen. Den Kindern in Indien ist es egal, wer dich auf der Zielgeraden in Empfang nimmt. Aber wenn du gar nicht erst an den Start gehst, macht es einen Riesenunterschied für sie: Denn dann kommt weniger Geld zusammen, das ihnen helfen würde. Verstehst du?«
Benny saß so regungslos da, dass Kati schon befürchtete, gegen eine Wand angeredet zu haben. Doch dann öffnete er den Mund und fragte zu ihrer großen Überraschung: »Bleibst du dann auch bis ganz zum Schluss?«
Sie lächelte ihn an. »Ich mach sogar ein Foto von dir.«
13.
S päter, in der Redaktion, ließ Kati sich nicht aus der Ruhe bringen. Nicht von Jonas Larsen, der ihr mit ärgerlich zusammengezogenen Augenbrauen auf dem Flur begegnete. Nicht von Guido Haak, der sich weigerte, ihr mit dem Computer zu helfen, weil er sich »dringend in die Geschichte Dagestans einlesen« musste. Und auch nicht von Manolo, der ihr während des Schreibens über die Schulter blickte und daraufhin meinte: »Also, der erste Satz ist schon mal scheiße.«
Sie schrieb trotzdem weiter. Und erzählte unter der Überschrift »Benny läuft nach Indien« die Geschichte eines kleinen Jungen, der beim Sponsoren-Lauf an der Geschwister-Scholl-Schule zunächst nicht mitmachen wollte, es sich dann aber anders überlegte, die Staffel schließlich sechsmal lief und dabei mehr Geld eintrieb als jedes andere Kind, das an den Start gegangen war. Nachdem sie den letzten Punkt gesetzt hatte, druckte Kati einige ihrer Digitalfotos aus: darunter auch ein besonders schönes Bild von Benny, der mit erhobenen Ärmchen und wehendem Wuschelhaar die Zielgerade erreichte.
»Ich bin fertig«, sagte sie zu Manolo. »Wohin jetzt mit dem Text?«
»Gleich zum Chef«, kam die Antwort. »Der wirft auch noch mal einen Blick auf deine
Weitere Kostenlose Bücher