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Abgeferkelt: Roman (German Edition)

Abgeferkelt: Roman (German Edition)

Titel: Abgeferkelt: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Hackenberg
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freuten, wovor sie Angst hatten. Beinahe wäre es dazu gekommen, dass er einen Teil dieser Dinge aus genau der Zeitung erfahren hätte, für die er selbst arbeitete. Jonas schloss die Augen. Was war er doch für ein lausiger Vater!
    Doch wie kam diese Margold dazu, einen kleinen Jungen in all seiner Verwundbarkeit derartig ins Rampenlicht zu rücken? Kein Elternteil wollte eine solche Geschichte über das eigene Kind im Lokalteil der einzigen Zeitung vor Ort veröffentlicht haben, noch dazu mit einem Foto, damit auch wirklich alle Nachbarn Bescheid wussten. Jonas zog die Stirn in Falten. Die Wut, die er auf sich verspürte, schlug plötzlich um und richtete sich mit aller Wucht auf Kati. Dieser Artikel würde so auf gar keinen Fall erscheinen, dachte er grimmig und drehte sich zu seinem Computer um. In Sekundenschnelle öffnete er die entsprechende Textdatei, markierte sämtliche Zeilen, zögerte für den Bruchteil einer Sekunde – und löschte alles.
    Er brauchte keine Viertelstunde, bis er seine eigene Version vom Sponsoren-Lauf in die Tastatur gehackt hatte. Dann wählte er ein Foto aus, auf dem eine Gruppe von etwa zehn Jungen und Mädchen zu sehen war. Die neue Überschrift lautete: »Schwitzen für den guten Zweck. Grümmsteiner Schüler helfen Kindern in Indien«. So. Fertig. Jonas lehnte sich zurück, starrte auf den Bildschirm und kämpfte gegen das schlechte Gewissen an, das mit einem Mal in ihm aufkam. Es war sonst nicht seine Art, die getane Arbeit seiner Redakteure derart zu missachten. Sogar bei den Texten von Praktikanten versuchte er immer, die brauchbaren Passagen stehenzulassen: zum einen, um die jungen Leute nicht zu entmutigen, zum anderen, weil er jedem Autor seinen eigenen Ton, seine eigene Art, zu erzählen, zugestand. Und jetzt saß er hier und hatte einen wirklich gut geschriebenen Artikel mutwillig gelöscht. Sicher, er hatte seine Gründe, wollte seinen Sohn schützen. Aber diese Gründe waren persönlicher Natur, und eigentlich war es ihm zuwider, Berufliches und Persönliches zu vermischen.
    »Was soll’s«, beschwichtigte er sich laut. Ein lächerlicher Versuch, die leise Stimme, die innerlich an seine Fairness appellierte, zu übertönen. Dann speicherte er die Datei ab und konzentrierte sich wieder auf seinen eigenen Text.
    *
    Die Schlusskonferenz fand im Stehen statt. Alle Redakteure versammelten sich dazu vor einer länglichen magnetischen Pinnwand, an die Jonas bereits die fertigen Zeitungsseiten für den nächsten Tag geheftet hatte. Kati fiel sofort auf, dass etwas nicht stimmte. Das Foto von Benny war nirgendwo zu sehen, und auch ihre Überschrift suchte sie vergebens. »Schwitzen für den guten Zweck«? Was sollte das denn?
    Sie trat näher und überflog den Artikel. »Bei strahlendem Sonnenschein gingen gestern rund 80 Viertklässler der Geschwister-Scholl-Schule an den Start, um Kindern in Indien zu helfen …«
    Ihr wurde eiskalt. »Das ist nicht mein Text«, platzte sie heraus und drehte sich zu Jonas um. »Nicht ein einziger Satz stammt von mir! Sie haben meine Geschichte komplett umgeschrieben!«
    »Gut erkannt«, sagte Jonas, wich ihrem Blick aus und wandte sich demonstrativ einer anderen Zeitungsseite zu. »Bei diesem Artikel hier sollten wir das Bild noch ein bisschen größer machen …«
    »Warum?«, unterbrach sie ihn, wobei ihre Stimme kurz davor war, zu kippen.
    Jetzt endlich sah er sie an. »Weil ich es für richtig gehalten habe, Frau Margold.«
    »Sie hätten das vorher mit mir besprechen müssen.«
    »Hätte ich das?« Spöttisch zog er eine Augenbraue in die Höhe. »Ich glaube nicht.«
    »Aber es wäre fair gewesen, mir wenigstens ein Feedback zu geben.«
    »Im Tageszeitungs-Journalismus müssen wir schnell sein, Frau Margold. Da bleibt keine Zeit für ausschweifende Diskussionsrunden und Kaffeekränzchen.«
    »Es geht mir nicht um Kaffeekränzchen, sondern um professionelles Arbeiten.«
    »Ach ja?« Jonas spürte, wie seine Wut wieder in ihm aufstieg. »Warum fangen Sie nicht gleich damit an? Zum Beispiel, indem Sie Texte schreiben, die man auch drucken kann?«
    »Wie soll ich wissen, was ich falsch gemacht habe, wenn ich keine konstruktive Kritik von Ihnen erhalte?«
    »Konstruktiver als so geht es kaum«, entgegnete Jonas und tippte auf ihren bis zur Unkenntlichkeit redigierten Text. »Lesen Sie sich diesen Artikel sorgfältig durch. Er enthält eine wichtige Botschaft für Sie.«
    »Die da wäre?«
    »Versuchen Sie nicht, vom Journalismus zu leben.

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