Abgeferkelt: Roman (German Edition)
aus den Fingern flutschte. Doch statt aufzugeben, besann er sich auf sein in Wattenscheid erlerntes Handwerk, packte fünf Pfeile auf einmal und schleuderte sie wie eine Ladung Kamellen in Richtung Zielscheibe. Dass er dabei nicht einen einzigen Treffer landen konnte, heizte die allgemeine Stimmung nur noch weiter an. Beim großen Finale schließlich hielt Kati den Moment fest, wie der König und seine Ritter beherzt auf Wassermelonen eindroschen, bis sie platzten – wobei Helmut seine Handtasche nicht eine Sekunde lang losließ.
»Wir sind der Meinung – das war spitze!«, rief Heidemarie zum Abschluss und hüpfte in Hans-Rosenthal-Manier nach oben. »Ich würde sagen: Auf dem Stadtschützenfest muss man mit uns rechnen, oder?«
»Wir kommen, wir kommen, wir kommen gewaltig!«, brüllten die Umstehenden zurück.
»Aber vorher müssen wir uns noch stärken«, verkündete Heidi. »Darum esst und trinkt und haut auf die Sahne, ihr Süßen!«
Auf der Gartenterrasse wurden nun in großem Stil Pflaumenknödel aufgefahren, doch Kati lehnte dankend ab. Stattdessen schnappte sie sich ein Glas Orangensaft und ließ sich neben einer Drag-Queen nieder, die hektisch in ihrer Handtasche wühlte. Als sie Kati bemerkte, hielt sie inne und fragte: »Keinen Hunger?«
»Doch, aber nicht auf Pflaumenknödel.«
»Im Moment steht mir der Sinn auch eher nach was Knackigem«, sagte die Drag-Queen und blickte einem der vorbeiflanierenden Hintern versonnen nach. »Du hast nicht zufällig eine Handcreme dabei, oder?«
»Doch, natürlich.« Kati angelte eine Tube aus ihrer Fototasche und reichte sie weiter.
»Oh, mein Gott! Die ist ja von Kiehl’s!«
»Alles andere ist Mist, wenn du mich fragst.«
»Da bin ich ja völlig bei dir – aber hier in dieser Einöde ist ja kein Rankommen an das göttliche Zeug!«
Kati musste grinsen. »In der Drogerie Ehlers braucht man jedenfalls nicht danach fragen.«
»Hör auf, da gibt’s doch nur Franzbranntwein.« Die Drag-Queen quetschte sich eine großzügige Portion Creme auf den Handrücken. »Du kommst nicht von hier, oder?«
»Nee. Aus Frankfurt.«
»Ach was. Da bin ich letztes Wochenende erst aufgetreten.«
»Bist du Schauspielerin?«
»Unter anderem, aber ich singe und tanze auch. Georgette Baguette – schon mal was von mir gehört?«
Bedauernd schüttelte Kati den Kopf. »Tut mir leid.«
»Das sollte es – ich bin sensationell.« Georgette rückte ihre Brüste wieder an den richtigen Platz. »Und was bist du? ’ne Lesbe oder ’ne gutgemachte Transe?«
»Ich bin die Presse.«
»Was, echt? Hab ich ein Glück.«
»Wieso?«
»Na, eine Hetero-Reporterin wie du fragt mich doch garantiert nach irgendwelchen perversen Praktiken aus.«
»Also, um ganz ehrlich zu sein – da gibt es wirklich etwas, das ich gerne wissen würde.«
»Na?«
»Wie kriegt ihr das mit den Beinen hin?«, platzte Kati heraus. »Ich meine – rasiert ihr, epiliert ihr – oder wie schafft man es, die Haut so glatt zu bekommen?«
Georgette fuhr sich mit den Fingerspitzen über ihre einwandfrei enthaarten Waden. »Okay, ich verrate dir jetzt etwas, das du zu Hause auf keinen Fall nachmachen solltest: Dichtungsmasse.«
»Wie – Dichtungsmasse?«
»Na, dieses Silikonzeug aus dem Baumarkt eben.«
Kati klappte der Unterkiefer runter. »Das schmierst du dir nicht allen Ernstes auf die Haut …?«
»Du, wenn man’s erst mal runterbekommen hat, wächst weit und breit kein Gras mehr …«
20.
Z wei Stunden später kehrte Kati in die Redaktion zurück und stellte fest, dass die Tür zu Jonas’ Büro weit offen stand. Mist, Mist, Mist. Seit dem peinlichen Zwischenfall bei der Rutschmeisterschaft hatte sie es sich zur Gewohnheit gemacht, ihn weiträumig zu umgehen. Eine Begegnung mit ihm, womöglich noch verbunden mit einer Gardinenpredigt zum Thema Zeitmanagement, war das Letzte, was sie jetzt gebrauchen konnte. Daher streifte sie ihre hochhackigen Schuhe ab und versuchte, sich barfuß an seinem Zimmer vorbeizuschleichen. Vergebens. Kaum, dass sie die Tür mit angehaltenem Atem passiert hatte, tauchte er hinter ihr auf.
»Was wird das, wenn’s fertig ist?«, erkundigte er sich und deutete auf ihre nackten Füße. »Strandspaziergang?«
»Nein, ich … ähm … wollte nur möglichst wenig Lärm machen.«
»Was zu verbergen?«
»Wie kommen Sie denn auf die Idee?« Errötend schlüpfte Kati wieder in ihren linken Schuh.
»Interessanter Nagellack«, entgegnete Jonas ein wenig zusammenhangslos
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