Abgeferkelt: Roman (German Edition)
»Ein Schwuler repräsentiert den Stadtschützenverband bei offiziellen Anlässen – das gab’s in Grümmstein noch nie! Und ist abgesehen davon auch endlich mal ein Thema mit gesellschaftspolitischer Relevanz.«
Kati runzelte die Stirn. »Wieso kümmerst du dich dann nicht selbst darum, wenn das alles so relevant ist?«
»Weil ich erst abwarten will, ob die Scharfen Schützen überhaupt an den Schießstand gelassen werden. Was nicht sehr wahrscheinlich ist, da der Verein außer schwulen Männern auch Lesben zu seinen Mitgliedern zählt.«
»Na und?«
»Frauen dürfen nicht mitschießen«, sagte Manolo, als würde sich das von selbst verstehen. »Und solange nicht sicher ist, ob der Verein offiziell antreten darf, versau ich mir doch nicht meinen Freitagabend.«
»Ach, und auf meinen Freitagabend kommt’s nicht so an, oder was?«, fragte sie fassungslos.
»Das nennt man Hackordnung, Süße.«
Heinz kam ins Büro geschlendert. »Morgen, allerseits«, sagte er, ließ sich auf einen Stuhl fallen und packte sein Frühstück aus. »Was wird heute unser Wort des Tages?«
Guido kratzte sich am Kopf. »Wie wär’s mit ›Schuppenflechte‹?«
»Zu simpel«, widersprach Manolo. »Ich bin für ›antichambrieren‹.«
»Über was zum Teufel redet ihr?«, fragte Kati dazwischen.
»Hast du denn noch gar nichts von unserem internen Wettbewerb mitgekriegt?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Wir suchen uns jeden Tag ein möglichst absurdes Wort aus«, erklärte Heinz. »Ziel ist, es so elegant wie’s geht in einem unserer Artikel unterzubringen. Wer das am häufigsten schafft, kriegt Ende des Monats einen Kasten Bier.«
»Ach. Und welches war das Wort von gestern?«
»Wachsfigurenkabinett«, entgegnete Guido. »Der Punkt ging an mich.«
»Wie lautete der Satz?«
Ihr Kollege zückte die aktuelle Ausgabe der Grümmsteiner Zeitung und las vor: »›In der jüngsten Sitzung des Bauausschusses wurde so lebhaft diskutiert, dass man keine Sekunde den Eindruck haben musste, sich in einem Wachsfigurenkabinett zu befinden …‹«
»Ihr seid krank«, sagte Kati und konzentrierte sich wieder auf den Text auf ihrem Bildschirm.
»Soll das heißen, du willst nicht mit einsteigen?«, erkundigte sich Heinz.
»Du hast es erfasst.«
*
Das Vereinsheim der Scharfen Schützen lag zwanzig Autominuten außerhalb der Stadt. Als Kati dort eintraf, drängten sich die Besucher bereits vor dem Eingang – allesamt in Zivil, da an diesem Abend ein »zwangloses Gay-Together ohne Uniform« auf der Tagesordnung stand.
»Ähm – stehen Sie an, oder stehen Sie rum?«, erkundigte sie sich bei einer Frau mit Hut, die ihr den Rücken zukehrte.
»Wer, ich?« Das über und über mit Make-up beschichtete Gesicht eines mindestens fünfzig Jahre alten Mannes wandte sich Kati zu. »Ich steh hier nur mit meinem Zigarettchen und flirte ein bisschen.«
»Oh. Dann, öhm, geh ich einfach mal rein, oder?«
»Klar doch, immer durchgehen. Aber Obacht – die Bude ist gerammelt voll!«
Das war nicht übertrieben. Im Schankraum des Vereinsheims stand ein buntes Völkchen dicht an dicht – Männer in Lederkluft neben Frauen mit Krawatte, toupierte Drag-Queens neben biederen Herren vom Typ Versicherungsvertreter und dazwischen ein paar Bauern in grünen Overalls und Gummistiefeln. Einen von ihnen sprach Kati an.
»Wo finde ich Ludger Engelmann, den Vereinsvorsitzenden?«
»Die Heidemarie? Die hängt draußen Gurken an die Wäscheleine.«
»Ach so. Klar. Danke.« Kati wusste nicht recht, was sie von dieser Antwort zu halten hatte, machte sich aber unerschrocken auf den Weg zur Gartenterrasse. Dort dröhnte Karel Gotts »Biene Maja« scheppernd aus einem Lautsprecher, während ein kleiner, untersetzter Mann tatsächlich damit beschäftigt war, ein paar stattliche Schlangengurken an einem Seil zu befestigen.
»Herr Engelmann?«
»Auf den Namen reagiere ich heute überhaupt nicht!«, flötete er, ohne seine Arbeit zu unterbrechen.
»Heidemarie?«, versuchte sie es erneut.
»Stets zu Diensten!«
»Ich bin Kati Margold von der Grümmsteiner Zeitung. Sie hatten uns eingeladen …«
»Ja, das ist ja der Wahnsinn! Ich freue mich!« Mit ausgestreckten Händen kam er auf sie zu. »Toll, dass die Presse sich unserer Sache annimmt. Wollen Se ’ne Gurke?«
»Nein danke. Aber vielleicht könnten Sie mir ein paar Worte dazu sagen, warum Sie und Ihr Verein beim Stadtschützenfest antreten wollen.«
»Na, um zu zeigen, dass es uns gibt! Die Scharfen
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