Abgeferkelt: Roman (German Edition)
drin.«
»Soll das heißen, du hast es dir kein einziges Mal angesehen, seit du hier bist?«
»Ich bin schon früher nie gerne dort gewesen, außerdem war es mir zu unheimlich, allein in diesem Gemäuer herumzuschleichen.«
»Also gut, dann holen wir das jetzt nach.« Ihr Bruder stand auf.
»Wie – jetzt gleich?«
»Keine Widerrede. Es wird höchste Zeit, dem guten Friedrich mal ganz privat auf die Pelle zu rücken.«
*
Die Amberg-Villa, ein weißgetünchter Prachtbau aus der Gründerzeit, lag auf einer kleinen Anhöhe über der Stadt. Schon beim Eintreten bemerkte Kati, dass sich seit ihrer Kindheit nichts verändert hatte: In der großzügigen Halle mit den schwarz-weißen Fliesen und der Wendeltreppe roch es noch immer nach Friedrichs Zigarren, und in der Vitrine an der Wand staubte das Meißner Porzellan seiner früh verstorbenen Frau ein.
»Sieh mal, hier kommt sogar noch Post an«, sagte Micha und deutete auf den Berg von Prospekten, der sich auf dem Fußboden vor dem Briefschlitz gebildet hatte.
Kati, der ein vertrauter, rot-gelber Schriftzug ins Auge stach, bückte sich und hob ein Heft auf.
»Sieh einer an – die Herzwoche. « Micha pfiff leise durch die Zähne. »Hast du gewusst, dass Friedrich die abonniert hatte?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Offensichtlich wollte er sich jede Woche ganz genau darüber informieren, was du da so schreibst.«
Ohne darauf einzugehen, trat Kati den Rundgang durch die Räume an. Es war beklemmend, in Friedrichs Schlafzimmer zu stehen, die Medikamente auf seinem Nachttisch und den Bademantel auf seinem Bett liegen zu sehen und zu wissen, dass er nie wiederkommen würde. Der Tod hatte etwas verdammt Endgültiges – auch, wenn ihm das zu Lebzeiten keiner abkaufen wollte.
»Kati? Komm schnell her, das glaubst du einfach nicht!«
»Wo steckst du denn?«
»Ich glaube, man nennt es einen Salon.«
Sie nahm die Abkürzung durch Küche und Esszimmer, schlug einen Haken durch den Wintergarten und fand ihren Bruder schließlich im Kaminraum vor, wo er sich in Friedrichs wuchtigem Ledersessel lümmelte. Kati erkannte sofort, warum er sie gerufen hatte: Da hing eine Schwarzweiß-Fotografie an der Wand, groß wie ein Bushaltestellen-Plakat, und zeigte – sie. Im Alter von etwa 13 Jahren, wie sie mit wehendem Haar und breitem Grinsen über einen Strand lief.
»Er muss oft an dich gedacht haben, wenn er hier gesessen hat«, sagte Micha.
»Und was nützt mir das?« Kati spürte, dass die alte Wut wieder in ihr hochstieg. »Unsere ganze Beziehung bestand nur aus Belehrungen, Streit und schließlich Funkstille! Nicht ein einziges Mal hat er mir gesagt, dass er stolz auf mich ist oder mich liebhat.« Anklagend deutete sie auf das Bild. »Stattdessen errichtet er mir hier einen Schrein, den ich fast schon gruselig finde! Das hat er sich wirklich zu leicht gemacht.«
Micha schwieg einen Moment, bevor er antwortete: »Ich glaube dir ja, dass er ein autoritäres Arschloch sein konnte. Aber leicht hatte er es ganz bestimmt nicht.«
»Jetzt verteidigst du ihn auch noch?«
»Das bin ich ihm schuldig, sein Sessel ist nämlich verdammt bequem«, witzelte Micha, wurde aber gleich wieder ernst. »Nun versetz dich doch mal in die Lage dieses Mannes: Nachkriegsgeneration, stockkonservatives Elternhaus, die eigene Ehefrau eine lieblose Kratzbürste. Und die einzige halbwegs aufmüpfige Aktion, zu der er sich jemals aufgerafft hat, sein Seitensprung nämlich, endet damit, dass er lebenslang Alimente zahlen muss.«
»Tja, das kann bei so einer Aktion durchaus passieren«, versetzte Kati. »Da hält sich mein Mitleid echt in Grenzen.«
»Ich find’s tragisch. Stell dir vor, dein einziges Kind ist eine Frankfurter Göre mit nichts als Nagelhautentferner im Sinn, während du dich selbst lieber über Nietzsche unterhalten würdest. Und da du nie richtig gelernt hast, in Worte zu fassen, was du empfindest, bricht irgendwann der Kontakt ab, und du stirbst, ohne dass es deiner Tochter aufgefallen wäre.«
»Worauf willst du hinaus, Micha?«
»Darauf, dass Friedrich dir alles hinterlassen hat, was er besaß – ohne Einschränkungen, ohne Vorgaben. Er hat regelmäßig verfolgt, woran du arbeitest, und sein Haus mit Fotos von dir tapeziert.« Micha warf seiner Schwester einen langen Blick zu. »Mag ja sein, dass dir das nicht ausreicht – aber anders konnte er dir nun mal nicht sagen, was du ihm bedeutest.«
Kati schwieg einen Moment und sagte dann: »Jetzt fühl ich mich richtig
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