Abgehakt
jeder besorgen.«
»Aber wir können nicht beweisen, dass es ein ›besorgtes Alibi‹ ist.«
»Schade!«
Es dauerte eine Weile, ehe sie weitersprach.
»Ich hatte gehofft, dass der Spuk jetzt vorbei ist. Als Frau konnte man sich in Wiesbaden ja nicht mehr sicher fühlen. Das heißt, das kann man ja jetzt immer noch nicht.«
»Wir versuchen alles, um den Täter zu kriegen.«
»Nun gut«, entgegnete sie mit fester Stimme, »dann will ich Ihnen mal helfen. Zum Täterprofil gibt es Folgendes zu sagen.« Sie suchte den Blickkontakt mit allen vier Anwesenden, die sich inzwischen um Martins Schreibtisch platziert hatten. »Der Täter hat sich territorial festgelegt.«
»Das haben wir auch schon bemerkt«, konnte sich Martin nicht verkneifen zu sagen, woraufhin er ein unterkühltes Lächeln erntete.
»So können Sie ziemlich sicher sein«, fuhr sie fort, »dass der Mörder in dieser Umgebung weiter morden wird.«
»Sie gehen also davon aus, dass er weiter morden wird?«, fragte Dieter.
»Davon gehe ich aus. Er war ja bisher sehr erfolgreich. Wir sprachen schon letztes Mal über den Wiederholungseffekt des erfolgreichen Täters«, erinnerte sie. »Zwischen den Morden liegt immer einige Zeit, eine Ruheperiode, wenn man so will. Auch ein Mörder braucht Pausen.«
»Die bisher immer ziemlich genau ein halbes Jahr dauerten.«
»Die Ruhephase ist bei jedem unterschiedlich, aber hier sieht es tatsächlich nach einer Art Rhythmus aus. Nach einer gewissen Zeit flammt die Kraft, von der der Mörder getrieben wird, immer wieder auf. Sie ist stärker als er selbst. Gespeist wird sie daraus, dass er sich als Opfer einer Aggression fühlt und damit zur Vergeltung berechtigt ist. Nach dem Motto: Auge um Auge, Zahn um Zahn.«
»Wie würden Sie einen solchen Menschen beschreiben?«, wollte Martin wissen.
»Normalerweise kommen solche Täter eher aus einer mittleren oder unteren Gesellschaftsschicht. Sie haben ein geringes kulturelles Niveau, eine niedrige Schulbildung, einen niedrigen IQ, also eine unterdurchschnittliche Intelligenz.«
»Was heißt ›normalerweise‹?«
»Je nach Fall braucht der Täter eine gewisse Intelligenz. So wie in Ihrem Fall, denn es ist ihm offensichtlich bisher gelungen, keine relevanten Spuren zu hinterlassen.«
»Also«, folgerte Michael, »ein Idiot kann da nicht am Werk gewesen sein.«
Barbara Hansen belächelte seine Ausdrucksweise und fuhr fort. »Der Täter benutzte jedes Mal ein Messer, zumindest bei den beiden letzten Morden. Eine solche Waffe ermöglicht den direkten Kontakt mit dem Opfer. Und durch das Einritzen des Hakens in die Brust beweist sich der Mörder eine absolute Überlegenheit über die Frauen.«
»Aber wie passt der erste Mord da rein? Da war kein Messer im Spiel.«
»Wenn man davon ausgeht, dass es sich um denselben Mörder handelt, würde ich sagen, dass er sich von Mord zu Mord steigert, seine Methode verbessert. Der erste Mord war dann sozusagen ein Übungsstück.«
»Meinen Sie, die Aggression nimmt immer mehr zu?«, fragte Martin nun.
»Ja, ganz sicher. Wobei das Morden mit der Frage zu tun hat, welche Gelegenheiten sich dem Täter dafür anbieten. Die Morde scheinen gut geplant zu sein, wenn keine Spuren zu finden sind. Also sucht er sein Opfer nicht aus und bringt es sofort um. Er sucht aus und plant dann. Und hat er erst einmal den Entschluss gefasst, kommt er nicht mehr davon los, bis die Auserwählte tot ist. Abgehakt, im wahrsten Sinn des Wortes.«
»Abgehakt!«, wiederholte Martin langsam.
»Ja, das soll der Haken sicher bedeuten«, bekräftigte Frau Hansen. »Wie gesagt, er stellt so seine Überlegenheit zur Schau.«
»Dann ist der Täter eher ein selbstsicherer, knallharter Typ«, mutmaßte Paul.
»Im Gegenteil. Meistens sind diese Menschen wehleidig. Deswegen wenden sie auch opferorientierte Neutralisierungstechniken zur Rechtfertigung an.« Sie machte eine kleine Pause und genoss die erwartungsvoll auf sie gerichteten Blicke, ehe sie erklärte: »Das heißt, dass der Täter die eigene Verantwortung für die Tat ablehnt. Er macht sich nicht selbst, sondern andere für sein Handeln verantwortlich. Er redet sich ein, Vergeltung zu üben, Rächer zu sein. Das Opfer trägt die Schuld, es verdient sein Schicksal.«
»Was ist mit der Tatsache, dass ein Mord in der Regel ein Beziehungsdelikt ist und die Tatbeteiligten sich schon in siebzig bis achtzig Prozent der Fälle vor der Tat kannten?«, fragte Dieter.
»Ich glaube, auch hier handelt es sich in
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