Abgehakt
sie bedeutend jünger aussehen als sie war. Dass ihre Hüften das zuviel hatten, was ihrem Busen fehlte, störte bei ihr in keinster Weise. Ihr hübsch geschnittenes Gesicht und ihre Art machten dieses kleine Manko mit Leichtigkeit wett. Kelly besaß das, was Anne als Charisma bezeichnete und was auch sie selbst gleich in den Bann gezogen hatte, als sie sich kennengelernt hatten.
»Herzlichen Glückwunsch, alter Mann«, hörte sie Kelly sagen.
»Alter Mann! Na warte, der alte Mann wird dir nachher beim Tanzen zeigen, was er noch drauf hat. Dann sprechen wir uns wieder.« Mark zwinkerte Kelly verschmitzt zu und wandte sich dann Anne zu. Auch sie wurde umarmt und geküsst, nachdem sie ihre Glückwünsche losgeworden war. Dann waren auch schon die nächsten Gäste im Anmarsch.
Kelly und Anne gingen ins Haus, wo sich ihnen das riesige Wohnzimmer eröffnete, eingerichtet mit extravaganten Designerstücken. Große moderne Bilder schmückten die in kräftigem Rot gehaltenen Wände. Eine Sitzgruppe aus sand- und karamellfarbenem Samtvelours in der Zimmermitte wirkte sehr edel. Sie bot Platz für mindestens fünfzehn Leute.
»Alles ist so perfekt«, stellte Anne fest, während sie den Blick durch den Raum schweifen ließ.
»Ja, einrichten kann Saskia«, bestätigte Kelly.
»Danke für das Kompliment«, tönte eine freundliche Stimme hinter ihnen. Saskia trat zu ihnen und begrüßte sie. Sie war ziemlich klein und hatte eine knabenhafte Figur. Nur der große Busen ließ den weiblichen Körper erkennen. Körperlich war sie so das krasse Gegenteil von Kelly. Ihr braunes Haar trug sie schulterlang und makellos frisiert. Ein paar wellige Strähnen, die ihr in die Stirn hingen, nahmen ihrem Gesicht die Strenge, die ihre weit auseinanderliegenden Augen und die leicht spitze Nase ihm verliehen. Dass ihr schwarzes, hochgeschlossenes Kleid teuer gewesen sein musste, war deutlich zu sehen.
Mit einem strahlenden Lächeln führte sie Anne und Kelly nach draußen, wo die eigentliche Party stattfand. Wie nicht anders zu erwarten, war der Garten genauso perfekt gestaltet wie das Innere des Hauses. Alles hier war groß: die hübsch in Form geschnittenen Bäume, der an die Terrasse grenzende Pool, die weiß und rot bepflanzten Blumenbeete, der romantische Laubengang und am heutigen Abend auch das Buffet und die Bar.
Saskia plauderte munter drauf los und überließ sie nach einer Weile der Obhut des Barkeepers, um sich anderen Gästen zu widmen. Der gut gebaute, dunkelhaarige Mann hinter dem Tresen sah aus, als hätte man ihn gerade eben von Puerto Rico importiert. Hingebungsvoll mixte er einen Planter’s Punch für Anne und einen Blue Tango für Kelly.
Mit ihren hübsch verzierten Gläsern in der Hand suchten sie sich einen freien Stehtisch. Das Gemurmel der etwa fünfzig Gäste, die dezente Musik aus dutzenden von Lautsprechern und der von Fackeln beleuchtete Garten sorgten für eine angenehme Atmosphäre. Wohlfühlen war angesagt.
»Na, immer noch so lustlos?«, wollte Kelly wissen.
»Nein, geht schon. Ich bin nur furchtbar müde.«
»Wann bist du das nicht?« Ein sorgenvoller Blick traf die Freundin.
»Ja, ich weiß. In letzter Zeit hab’ ich unheimlich viel Arbeit.«
»In letzter Zeit? Darf ich mal lachen? Seit wir uns kennen steckst du bis über beide Ohren in Arbeit, und ich hab’ ständig Angst, dass du mal drin versinkst. Ich wette, du musstest heute auch wieder arbeiten, stimmt’s?«
»Gewonnen!« Anne nahm einen großen Schluck von ihrem Drink. Der Samstag gehörte bei ihr schon lange nicht mehr zum Wochenende. Ihr Job als Bauingenieurin bei der Firma Kalvert nahm sie voll und ganz in Beschlag, genauso wie ihr Chef Günter Bendix.
Vor fünf Jahren hatte sie die Stelle in dem Planungsbüro angetreten und sich mit Fleiß und Ehrgeiz schnell die Stelle als Projektleiterin gesichert. Ihr wurden fünf Architekten unterstellt und eine Menge Verantwortung übertragen. Anfangs war es nicht leicht, sich als Chefin zu behaupten. Die Architekten waren alle Männer, die zuvor noch nie für eine Frau, geschweige denn für eine junge Frau gearbeitet hatten. Einige meinten, Anne nicht für voll nehmen zu müssen und belächelten ihre Anweisungen. Doch Anne brachte ihren Chef dazu, einen ihrer Mitarbeiter zu entlassen, der mehrfach eigenmächtig und falsch gehandelt hatte. So hatte sie sich den nötigen Respekt verschafft.
Inzwischen kamen fast alle gut mit ihr aus. Man mochte sie und schätzte ihren Einsatz. Aber die Arbeit
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