Abgehakt
fünfmal im Jahr ins Ausland, um dort den Einbau und die Inbetriebnahme der in Deutschland hergestellten Maschinen zu leiten. Fast immer fuhr Kelly mit. Sie lernte Land und Leute kennen, während Patrik arbeitete, war aber gleichzeitig stets in seiner Nähe. Kinder hatten und wollten sie keine. Stattdessen hatten sie Sunny, einen Schäferhund, der genauso alt war wie ihre Ehe und regelmäßig in Annes Obhut kam, wenn das Ausland wieder rief. Sie genoss die Gesellschaft des Vierbeiners und kam außerdem noch mehrmals täglich an die frische Luft, was sonst eher selten der Fall war. Ansonsten teilte sie ihre freie Zeit mit einem Aquarium voller Fische.
»Wie wär’s mit Sex on the beach ?«, wollte Mark wissen, als sie vor Paolo standen.
»Sehr zu empfehlen«, meinte der Barkeeper augenzwinkernd.
»Nehmen wir!«, sagte Kelly entschlossen. »Was immer das auch sein mag.«
Der Drink stellte sich als flüssige, hochprozentige Köstlichkeit heraus, die nach einem zweiten Glas rief, ehe Mark Kelly zum Tanzen entführte. Anne suchte sich ein ruhiges Plätzchen unter einem der Bäume. Es war ein herrlich warmer Augustabend. Eine leichte Brise spielte mit ihrem langen Haar und streichelte ihre Haut. Sie schloss für einen Moment die Augen.
Im nächsten Augenblick hörte sie ein »Hoppla!«, öffnete die Augen und sah sich um. Ein Mann, Mitte dreißig, stand unweit von ihr und schaute sie an. Er trug schulterlanges, blondes Haar, das er mit Gel in Form gebracht hatte.
»Ihr Gesicht habe ich hier noch nie gesehen.« Selbstbewusst kam er ein paar Schritte auf sie zu.
»Ich Ihres auch nicht«, entgegnete Anne.
»Das ist wohl die logische Folgerung daraus.« Er streckte ihr die Hand entgegen, um sich vorzustellen. »Bernd Castor. Schön Sie kennenzulernen.«
»Anne Degener. Hallo.« Sie erwiderte seinen Händedruck und musterte ihn. Er war groß und schlank. Seine hohen, hervorspringenden Wangenknochen verliehen seinem Gesicht eine sehr männliche Ausstrahlung.
»Darf ich?«, fragte er und deutete mit den Augen auf den Stuhl zu ihrer Rechten.
»Bitte!«
»Es ist wirklich erstaunlich, hier auf ein unbekanntes Gesicht zu treffen.«
»Warum?«
»Weil ich seit Jahren zu diesen Partys komme und dachte, jeden hier zu kennen.« Lässig lehnte er sich im Stuhl zurück und schlug die Beine übereinander. »Wie kommen Sie hierher?«
»Ich bin mit einer Freundin hier. Kelly Schwab.«
»Kelly!« Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. »Die habe ich heute Abend noch gar nicht gesehen. Wo ist sie denn?« Suchend blickte er sich um und entdeckte sie auf der Tanzfläche. »Amüsiert sich, wie immer.« In Annes Ohren klang das ein wenig herablassend. Sie wollte gerade etwas sagen, als er fortfuhr: »Eine lustige Nudel, unsere Kelly. Sie ist für jeden Spaß zu haben. Ich mag sie. Obwohl ich jetzt eigentlich böse sein müsste, weil sie Sie so lange versteckt hat.« Bernds blaugrüne Augen funkelten.
»Sie hat mich als Überraschung aufgehoben.« Anne lachte ihn offen an.
»So gesehen«, nickte er, »war das eine gute Idee.«
»Und Sie? In welcher Beziehung stehen Sie zu Mark und Saskia?«
»Mark ist seit ewigen Zeiten mein bester Freund. Wir haben zusammen BWL studiert.«
Er verbrachte die nächste Viertelstunde damit, ihr die lebhafte Studienzeit mit Mark zu beschreiben. Diese wilden Zeiten waren offenbar schlagartig vorüber gewesen, als Saskia ins Spiel gekommen war.
»Und das war auch gut so«, sagte Bernd. »Wir haben uns alle etwas mehr auf unsere Karrieren konzentriert und Mark zusätzlich auf Saskia. Er hat das mit ihr gut hingekriegt. Ich bewundere ihre Ehe und unterstütze die beiden, wo ich kann, damit das so bleibt.«
»Unterstützen?«, wiederholte Anne etwas verständnislos.
»Ja. Was man als Freund eben so tun kann. Wenn’s mal kracht, was nicht oft vorkommt, versuche ich zu schlichten und für bessere Stimmung zu sorgen.«
»Verstehe«, nickte sie. »Eine gute Beziehung zu führen ist heute sicher nicht leicht.«
»… nicht leicht und ziemlich selten«, ergänzte er. »Mark und Saskia haben irgendwie ein gutes Rezept. Vielleicht liegt es daran, dass jeder einen Teil seiner Freizeit allein verbringt.« Er zuckte mit den Schultern. »Man muss eben das Richtige tun, was immer das auch ist. Mir ist das bisher nicht gelungen.«
Mir auch nicht, wollte Anne antworten, behielt es aber für sich. Sie dachte an Toni. Ihre Beziehung war eigentlich nie richtig gut gewesen. Die anfängliche, blinde Verliebtheit
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