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Abgehauen

Abgehauen

Titel: Abgehauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Krug
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sieht so aus, daß ich jederzeit entlassen werden kann. Wenn man mir Komparserie anbietet oder ein paar Synchrontakes und ich lehne ab, werde ich wegen Arbeitsverweigerung rausgeschmissen. Und diese Demütigung wäre gekommen, so sicher wie das Amen in der Kirche. Früher hat man Verräter an der sozialistischen Sache noch ganz anders behandelt. Was kann man machen? Irgendwas Heroisches? Taxifahrer werden und die Fahrgäste unterhalten? In Prag hat es nach ‘68 solche Fälle gegeben, und es gibt sie noch, niemand redet mehr davon. Ich bin als Mensch nicht groß genug, den Märtyrer zu machen. Biermann war groß genug dazu. Aber er ist ein Genießer der besonderen Art.«
    Kaufmann will wissen, welche Pläne Jurek hat, und im selben Moment ist mein Mißtrauen wieder da, ich sage, daß ich darüber nichts weiß. Nach einem Lächeln sagt er: »Du bist in einer scheußlichen Situation, eigentlich weißt du nicht, wer vor dir sitzt.« Da hat er recht, und das ist schlimm.
    »Warum schenkst du dem Staat dein Haus?« »Der Staat«, sage ich, »hat das Vorkaufsrecht vor jedem anderen Käufer. Von diesem Recht würde er im Falle meines Hauses Gebrauch machen. Der Staat bezahlt nicht annähernd den Wert des Hauses, und er zahlt kein bares Geld. 300 Mark würden monatlich auf ein Sperrkonto gehen, über das ich so lange nicht verfügen könnte, wie man mir Besuche in die DDR verweigert. Und wenn ich jemals wieder hierher darf, kann ich pro Aufenthaltstag eine Summe abheben, die nicht ausreichen würde, auch nur eine halbe Übernachtung davon zu bezahlen. Ein staatlicher Kauf wäre ein Diebstahl. Ich möchte nicht der Trottel sein, dem sie eine Villa gestohlen haben, sondern der Trottel, der sie verschenkt hat. Und außerdem will ich etwas demonstrieren, ich will zeigen, daß ich weg will, ohne Rücksicht auf Verluste, nur weg.« »Wie ein beleidigter Ehemann.« »Genauso.«
    Das versteht der Walter Kaufmann. Wir tauschen noch ein paar Gefühlsregungen aus, ich frage ihn, was er glaube, ob er wirklich dafür vorgesehen sei, den bösen Drachen zu beschreiben. »Bilde dir doch nicht ein, daß ich machen kann, was ich will«, sagt er. »Die brauchen mir bloß ein Einreisevisum zu verweigern, dann stehe ich draußen, so einfach ist das.« Und das verstehe ich. Draußen ist es kalt und windig. Walter steigt in seinen Mercedes und winkt im Abfahren.
     
    Ich habe eine Viertelstunde Pause, nehme zwei Kopfschmerztabletten, dann kommt Gerstner, der Journalist, der die DDR verteidigt und doch politisch keinen schlechten Ruf hat. Er ist sympathisch und flößt Respekt ein. Nein, Kaffee möchte er so spät nicht mehr, ein Glas Rotwein gern.
    »Herr Gerstner, Sie sind hierher geschickt worden. Haben Sie einen Auftrag, über etwas Bestimmtes mit mir zu sprechen?«
    Gerstner: »Niemand hat mich geschickt oder mir was auf den Weg gegeben. Ich mache mir Sorgen, das ist alles, ebenso meine Frau, von der ich grüßen soll.«
    Ich sage meinen Vers auf: »Herr Gerstner, wir sollten einen Schluck miteinander trinken und, wenn Ihnen die Zeit nicht zu schade ist, über alles mögliche reden, nur meinen Ausreiseantrag, den Sie nicht verschuldet noch zu verantworten haben, sollten wir aussparen.« Plötzlich hat er ein sehr verblüfftes Gesicht. Er sagt: »Ich bin entsetzt. Daß ein solcher Antrag existiert, höre ich in diesem Moment zum ersten Mal.«
    Nun bin ich es, der erstaunt ist. Ich weiß nicht, was ich denken soll. Ich sehe Gerstner aufmerksam an, sein vorspringendes Kinn, den gestutzten Schnurrbart, den eindrucksvollen Schädel. Er hat sommersprossige, kräftige Hände wie ein Landarbeiter. Er sieht aus wie jemand, der gern die Wahrheit sagt: »Ich hätte früher kommen sollen. Ob ich Ihre Entscheidung hätte verhindern können, weiß ich nicht. Es tut mir in der Seele leid.« Und nun reden wir doch über nichts anderes als meine Ausreise. Ich erzähle ihm von den Widerwärtigkeiten der letzten Monate, er hört gekonnt zu, zeigt gelegentlich maßvolle Erschütterung. »Ich finde es naiv, daß Sie damit nicht gerechnet haben, Sie kennen doch unser Leben und unseren Staat. Klar, daß die Leute zurückschlagen, wenn man ihnen derartig auf die Füße tritt.« Was er denn glaube, worin dieser Tritt bestanden habe, ob er den Inhalt der Petition kenne. »Ich weiß nur, was im NEUEN DEUTSCHLAND gestanden hat, mehr nicht«, sagt er. »Das ist wirklich viel verlangt, Herr Gerstner, daß ich Ihnen das glauben soll«, sage ich und gebe ihm die Petition zu

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