abgemurkst: Maggie Abendroth und das gefährliche Fischen im Trüben (German Edition)
Pietät Sommer wieder verkaufen.«
Matti blickte an die Decke und schluckte. Sein Adamsapfel hüpfte aufgeregt auf und nieder. Herr Matti war so dünn wie ein Fädchen, und sein dünner Hals wuchs aus seinem Hemd wie ein Blumenstiel.
»Matti?«, versuchte ich ihn aus seinen Gedanken wieder zurück ins Besuchszimmer zu holen. »Herr Matti? Hab’ ich was Falsches gesagt?«
»Nein, nein. Sie haben alles ganz richtig gesagt. Ich war voreilig – mit dem Kauf. Erst mal geht es um den Prozess.« Matti sortierte die Schokoriegel neu, er baute konzentriert einen dreieckigen Turm und vermied es, mich anzusehen.
Genau, Herr Matti, jetzt sind wir auf dem richtigen Weg, und ich werde keine Finte auslassen, um Sie auf Kurs zu halten.
»Ach«, lenkte ich ein, »ich finde es toll, dass Sie sich Gedanken um Ihre Zukunft machen.«
»Und um Ihre.«
»Ja, auch um meine. Wofür ich Ihnen sehr dankbar bin.«
Er nickte. »Ich kann vor Gericht trotzdem nicht lügen.«
Also, er schafft es doch immer wieder! Ich lüge doch hier für ihn, dass sich die Balken biegen – da wird er das bisschen ›angepasste Wahrheit‹, das Herzig von ihm verlangt, wohl in Kauf nehmen können.
»Aber das würden Sie doch auch gar nicht. Verstehen Sie doch endlich, dass es darum geht, die Dinge auf eine Weise darzustellen, die Ihnen guttut. Es geht um Nuancen. Von Lügen war nie die Rede.«
»Ist man einmal ungenau, dann ist man es immer. Eine Lüge ist die Mutter von zehn weiteren.«
Matti legte seine schlanken, sehnigen Hände vor seinen Mund, als wollte er verhindern, noch mehr sagen zu müssen.
»Ist das ein finnisches Sprichwort?«
»Das gilt auf der ganzen Welt.«
»Hören Sie, Sie haben noch Zeit, darüber nachzudenken. Wir wollen doch alle nur, dass Sie in Deutschland bleiben können und dass Sie nicht mehr Strafe als nötig bekommen.«
»Ist das so!«
»Ja, das ist so. Ich will das, Winnie will das, Wilma und Kajo auch. Wir wollen das alle gern. Wir wollen, dass Sie gut aus der Sache rauskommen. Und wenn Sie Ihren Teil dazu tun, dann tun wir es auch. Wenn alles vorbei ist und Sie ein freier Mann sind, dann fragen Sie mich noch mal, wenn Sie Pietät Sommer tatsächlich wieder aufmachen.« Ich legte die Tüte mit den Gummibärchen auf Mattis Schokoturm. Er schwankte.
Margret! – hast du das gerade gesagt? Ja, das hatte ich. Ich hatte Matti einen Floh ins Ohr gesetzt, damit er sich endlich auf die Verteidigungsstrategie von Herzig einlässt. Mein nicht ganz ernst gemeintes Einverständnis in seine Pläne sollte die Mohrrübe vor der Nase des Esels sein. Fragt sich nur, wer am Ende des Tages der Esel sein wird. Ich bekam jetzt schon Angst vor dem Moment, an dem Matti auf mein Angebot zurückkommen würde. Bis dahin wird es noch ein Weilchen dauern, aber der Tag wird kommen. Matti vergisst nämlich nie etwas. Jemand, der als Analphabet in der Lage ist, die Stadtpläne des gesamten Ruhrgebietes im Kopf zu haben, und der in gerade mal sechs Wochen Lesen und Schreiben so weit beherrscht, dass er die passenden Passagen aus Cyrano de Bergeracs Briefen finden und abschreiben kann, ist nicht zu unterschätzen.
»Danke, dass Sie das sagen.«
Matti schaute zur Uhr und sagte dann ganz unvermittelt: »Ich habe etwas im Fernsehen gesehen. Über einen Produzenten, der verunglückt ist. Ist das der Mann, der Ihnen Arbeit geben wollte?«
»Ja, skurrile Geschichte, was?«, wiegelte ich ab.
Matti riss die Tüte mit den Gummibärchen auf und hielt sie mir hin. Ich lehnte ab.
»Wenn es geklappt hätte, wären Sie bestimmt schon auf dem Weg nach Köln.«
»Ja, bestimmt.«
»Aber jetzt sind Sie doch hier.«
Ich schob Herrn Matti die Zeitung wieder hin. Ich wäre für einen Themenwechsel sehr dankbar gewesen. Statt die Zeitung zu nehmen, legte er seine Hand auf meine und sagte: »Es tut mir leid um den Mann, der gestorben ist. Trotzdem, ich bin froh, dass Sie nicht in Köln sind, Frau Margret«, dabei schaute er mich direkt mit seinen hellen, blauen Augen an. Seine Hand war unerwartet warm und angenehm.
Und dann noch so viele Worte von Herrn Matti … für seine Verhältnisse beinahe verschwenderisch.
»Tja, und wie es aussieht, bleibe ich wohl noch eine ganze Weile hier. Die böse Fee gönnt mir keinen Job in Köln«, gab ich unbeholfen zurück und wagte nicht, meine Hand zurückzuziehen.
»Manchmal wünscht man sich die falschen Sachen und weiß es gar nicht.«
»Was Sie nicht sagen.«
Der Wachbeamte erschien in der offenen Tür. Es war Zeit
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