Abgeschaltet
Sonne herrscht durch ihre hohe Masse ein Druck von ungefähr 200 Milliarden bar. Da völlig unvorstellbar ist, einen solchen Druck unter irdischen Bedingungen herzustellen, haben sich die Fusionsforscher für den zweitschwierigsten Weg entschieden: Sie erhöhen die Temperatur auf 100 Millionen Grad.
Damit ist nun die Aufgabe beschrieben, die jeder vor sich hat, der ein Kraftwerk auf Basis der Kernfusion bauen will: Es gilt ein Stoffgemisch auf eine Temperatur von 100 Millionen Grad zu bringen und diese Temperatur zu halten; gleichzeitig soll die dafür benötigte Energie kleiner sein als jene, die man aus der Fusion gewinnt. Können Menschen so etwas überhaupt leisten? Und ist das nicht ähnlich gefährlich wie die Kernspaltung?
Antworten auf diese Fragen suche ich am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in München. Denn alle Fäden der internationalen Fusionsforschung laufen in München zusammen, dem weltweit größten Institut, seit es in den achtziger Jahren mit dem von US-Wissenschaftlern sogenannten »Munich Miracle« der ins Stocken geratenen Fusionsforschung neuen Schwung gab. Institut für Plasmaphysik heißt es übrigens, weil jedes Gas, wenn man es sehr stark erhitzt, irgendwann in einen Zustand übergeht, in dem sich die Elektronen von den Atomkernen trennen. Diesen Zustand, in dem viele oder alle Atomkerne ionisiert sind, nennt man Plasma.
DAS MÜNCHNER WUNDER
»Man muss einen langen Atem haben«, ist einer der ersten Sätze, die Professor Günter Hasinger fallen lässt. Der Astrophysiker leitete das Max-Plank-Institut für Plasmaphysik in den Jahren 2008 bis 2011, einem entscheidenden Zeitraum, weil in den Nachwehen der Finanzkrise die Finanzierung für den Forschungsreaktor ITER, den alle an der Kernfusion arbeitenden Staaten, also neben Europa, den USA und Japan auch China, Südkorea und Indien, gemeinsam in Südfrankreich bauen wollen, fast gescheitert wäre. Mit stringenter, manchmal fast missionarischer Argumentation überzeugte er Forschungspolitiker in ganz Europa davon, das Projekt trotz knapper Kassen fortzuführen – obwohl die ursprünglich geplanten Kosten sich auf mittlerweile rund 15 Milliarden Euro verdoppelt haben.
In München werden zwei Geräte weiterentwickelt, die es ermöglichen sollen, ein 100-Millionen-Grad-Plasma zu beherrschen: der Tokamak und der Stellarator. Der Tokamak ist, wie der Name vermuten lässt, eine ursprünglich russische Idee; das Stellarator-Prinzip, in dessen Name sich das lateinische Wort für Stern verbirgt, wurde Anfang der fünfziger Jahre von dem amerikanischen Astrophysiker Lyman Spitzer erdacht. »Sie verhalten sich zueinander ein bisschen wie der Otto- und der Dieselmotor«, erläutert Hasinger. »Vermutlich wird man Ergebnisse aus beiden Entwicklungslinien benötigen.« Gemeinsam ist beiden Konzepten, dass das elektrisch leitfähige Plasma in einem ringförmigen Magnetfeld so eingeschlossen wird, dass es die Gefäßwände nicht berührt. Nicht weil die sonst schmelzen würden, dazu ist die Energiedichte des Plasmas viel zu gering. Sondern weil es sonst schlagartig erkalten würde, der energieintensive Aufheiz- und Zündungsprozess müsste von neuem gestartet werden. Damit ist auch die Kernfrage der Kernfusion beantwortet. So richtig gefährlich kann es nicht werden, weil der Prozess nicht wie die Kernspaltung per se stabil ist. Sondern so instabil, dass man gewaltigen Aufwand treiben muss, um die Fusionsreaktion aufrechtzuerhalten.
Das entscheidende Kriterium, das über den Erfolg der Konzepte entscheiden wird, ist daher die Einschlusszeit: Wie lange bleiben Temperatur und Druck des Plasmas erhalten, ohne dass neue Energie zugeführt werden muss? »Ein Fusionsreaktor muss ungefähr 100-mal besser isolieren als Styropor«, beschreibt Hasinger die Herausforderung. Dazu arbeiten Forscher weltweit daran, Turbulenzendes Plasmas möglichst zu vermeiden – sie stellen die Hauptverlustquelle für die Wärme dar. Beim Stellarator werden in einer sehr komplizierten Konstruktion mehrere Magnetfelder überlagert, um dem Plasmaring im Inneren der Maschinen eine spiralförmige Drehung zu verpassen – ähnlich wie bei einem verdrillten und daher besonders reißfesten Seil. Beim Tokamak entsteht die Verdrehung durch einen Stromfluss im Plasma. Erzeugt wird er durch regelmäßige Pulse eines Transformators, die etwa die gleiche stabilisierende Funktion haben wie regelmäßiges Abstoßen beim Rollerfahren. Außerdem werden zusätzliche kleine Magnetfelder
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