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Abgeschaltet

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Titel: Abgeschaltet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Winterhagen
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Völlig logisch eigentlich, dass man sehr früh auf die Idee gekommen ist, solche Brennstäbe zu recyceln, sprich »wiederaufzubereiten«. Wobei die Intention sicher zunächst nicht die Energiegewinnung war, zumal Uran ein billiger Rohstoff ist. Am Ende ihres Einsatzes enthalten die Brennstäbe etwazwei Prozent Plutonium, das man zu Zeiten des kalten Krieges benötigte, um Atomwaffen damit zu bestücken, und das grundsätzlich auch als Brennstoff einzusetzen ist. Die Forschung arbeitet heute daran, neben Plutonium und Uran auch andere Reststoffe aus den Brennstäben wiederaufzubereiten, so dass nur Spaltprodukte übrig bleiben, die innerhalb weniger Jahrhunderte zerfallen.
    Freilich machen solche Konzepte nur so lange Sinn, wie eine Gesellschaft sich grundsätzlich für eine weitere Nutzung der Kernkraft entscheidet. Schon vor dem Ausstieg aus dem Ausstieg aus dem Ausstieg hatte sich Deutschland gegen die Wiederaufbereitung von Atommüll entschieden. Es war keine demokratische, etwa per Volksentscheid gefällte Entscheidung, die Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf nicht zu bauen – und dennoch schien sie dem Willen der Bevölkerung zu entsprechen. Damit verbleiben genau zwei Möglichkeiten, mit dem existierenden Atommüll umzugehen: Man kann ihn lagern. (Ich vermeide den Begriff Endlagerung, denn es ist nicht auszuschließen, dass künftige Generationen den an sich unvollständig genutzten Energierohstoff eines Tages doch zu nutzen wissen.) Oder man kann ihn so verändern, dass er seine Gefährlichkeit weitgehend verliert. Diese noch wenig diskutierte Möglichkeit, genannt Transmutation, ist mittlerweile ein konkretes Forschungsprojekt, das am belgischen Institut SCK-CEN in Mol verfolgt wird, wo bis 2020 eine erste Versuchsanlage entstehen soll. Die Grundidee: Man nimmt einen Teilchenbeschleuniger, der Protonen stark beschleunigt. Die zertrümmern dann Atome eines flüssigen Metalls, beispielsweise eines Blei-Wismut-Gemisches. Dabei entstehen freie Neutronen, die wiederum in der Lage sind, hochradioaktive Stoffe wie Plutonium zu spalten. Eine Kettenreaktion ist bei diesem Vorgehen ausgeschlossen – stellt man die Protonenquelle ab, passiert nichts mehr. Fachleute sprechen daher auch von einem unterkritischen Reaktor. Nach der Transmutation ist noch immer radioaktiver Müll vorhanden, aber mit deutlich reduzierter Halbwertszeit. Der Abfall müsste nur noch 500 bis 1000 Jahre sicher verwahrt werden.
    Gemessen an den Zeiträumen, die wir den in den Kernkraftwerken entstandenen und entstehenden Müll lagern müssen, ist das sehr wenig. Erst nach 10000 Jahren hat der aufbereitete hochradioaktive Anteil des Abfalls aus einem Druckwasserreaktor wieder die Strahlungsintensität natürlichen Uranerzes. Bis Plutonium auf diesem Niveau ankommt, vergehen 100000 Jahre. Und erst nach zirka 500 Millionen bis drei Milliarden Jahren ist die Strahlung null, das heißt, es finden gar keine Zerfallsprozesse mehr statt. Immerhinnimmt die Strahlungsintensität mit der Zeit ab. Befindet man sich nur eine Minute einen Meter neben einem nackten Brennelement, das vor einem Jahr ausgemustert wurde, dann stirbt man mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent. Nach 100 Jahren muss man für dieselbe Dosis bereits eine Stunde neben dem (unverpackten) Brennelement stehen, nach 10000 Jahren drei Tage.
    Bis heute hat die Menschheit nach Angaben der internationalen Atomagentur IAEA etwa 30 Millionen Kubikmeter radioaktiven Mülls produziert. (Zum Vergleich: der Bodensee fasst etwa 50 Millionen Kubikmeter Wasser.) Allein die 17 deutschen Atomkraftwerke haben rund 50000 Kubikmeter Abfall im Jahr hinterlassen. Der Anteil des hochaktiven Mülls variiert je nach Reaktorkonzept, er beträgt für einen Druckwasserreaktor etwa drei Prozent. Allerdings kann er nur durch Wiederaufbereitung von dem weniger strahlenden Abfall getrennt werden. Für den Fall, dass man die Brennstäbe ohne Aufbereitung in Castoren lagert, erhöht sich das Volumen deutlich. Dass es in Deutschland für die Entsorgung des radioaktiven Abfalls kein endgültiges Konzept gibt, ist allgemein bekannt. Was aber viel erstaunlicher ist: Gorleben ist tatsächlich überall. Weltweit ist nämlich kein einziges Endlager in Betrieb, nicht einmal in den Vereinigten Staaten, wo große Wüsten, eine starke nukleare Tradition und mehrere ohnehin verseuchte ehemalige Atomwaffentestgelände den Gedanken nahelegen. Lichtblicke bieten allein Finnland und Schweden, beides nicht gerade

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