Abgeschaltet
Restaurierung bestehender Bauten zu erwarten. Anders sieht es in vielen Schwellenländern aus. In China beträgt die Leistung aller Wasserkraftwerke mehr als 200 Gigawatt, jedes fünfte der einhundert größten Wasserkraftwerke der Welt liegt im Reich der Mitte. Ein Ranking, das klar vom umstrittenen Drei-Schluchten-Staudamm angeführt wird. Mit 22,5 Gigawatt Leistung ersetzt er mehr als 20 Kohlekraftwerke. Aber nicht nur in China, sondern in vielen ebenfalls nach Wohlstand strebenden Nationen von Argentinien bis Vietnam werden derzeit Staudämme geplant oder gebaut. Bei vielen der Vorhaben steht nicht allein die Energiegewinnung im Vordergrund, sondern – wie einst beim Hoover-Damm – die Domestizierung von Flüssen. Überschwemmungen verhindern, Dürrezeiten überbrücken, Trinkwasser zu jeder Jahreszeit, das sind zunächst einmal berechtigte Anliegen. In einigen Entwicklungsländern dient die Wasserkraft außerdem dazu, sich von Ölimporten unabhängiger zu machen. So basiert die Stromversorgung der sudanesischen Hauptstadt Karthum fast ausschließlich auf Dieselgeneratoren. Die verbrauchen jährlich Kraftstoff im Wert von 500 Millionen US-Dollar. Die Investition von 1,8 Milliarden Dollar in den Merowe-Staudamm ist da recht schnell amortisiert – auch wenn sein Bau ironischerweise von der China National Petroleum Corporation finanziert wird.
Aber wozu braucht man überhaupt eine Staumauer? Die elektrische Energie gewinnt man in einem Wasserkraftwerk aus der Bewegungsenergie des Wassers. Die Menge der Energie ist also im Wesentlichen davon abhängig, wie viel Wasser wie schnell durch die Turbinen strömt. Die Geschwindigkeit des Wassers wiederum ist proportional zum Höhenunterschied zwischen der Turbine und dem Eintritt in die Zuleitung zur Turbine. Wenn man also auf eine Staumauer verzichten will, dann braucht man einen Fluss, der das ganze Jahr relativ gleichmäßig relativ viel Wasser führt und von Natur aus über ein ordentliches Gefälle verfügt. Wo solche idealen Bedingungen herrschen, sind schon Ende des 19. Jahrhunderts, als der Bedarf an elektrischer Energie rasch stieg, die ersten Fließwasserkraftwerke gebaut worden.
KEIN REINFALL: WASSERKRAFT AUS RHEINFELDEN
Zum Beispiel im südbadischen Rheinfelden, wo 1898 das damals größte Wasserkraftwerk Europas entstand. Der Hochrhein weist auf einer Länge von 150 Kilometern 150 Meter Gefälle auf – das klingt gemächlich, verschafft aber dem reichlich vorhandenen Wasser enorme Kraft. So viel Kraft, dass Gischt entsteht und man die Stimme deutlich anheben muss, wenn man sich direkt am Flussufer unterhält. Mehr als 100 Jahre war das Kraftwerk im Dienst, bis 2011 einige Hundert Meter flussaufwärts sein Nachfolger in Betrieb genommen wurde. Der größte Neubau in Deutschland, wohl auf längere Zeit.
Als ich im Dezember 2010 nach Rheinfelden reise, bin ich wieder einmal viel zu früh. Ich entschließe mich, bei klirrender Kälte, aber strahlendem Sonnenschein vom Bahnhof zu Fuß zur drei Kilometer entfernten Baustelle zu laufen. Ein Glücksfall, denn so habe ich Zeit, vom Bauzaun aus den Abriss des alten Kraftwerkgebäudes zu beobachten. Wie ein kleiner Junge schaue ich dem Zerstörungswerk mehrerer Abrissbagger zu. Die Mauern, die sie malträtieren, scheinen einem neogotischen Schloss zu entstammen – sähe man in einer teilweise schon freigelegten Halle nicht Maschinen, die auch im Deutschen Museum stehen könnten. Sie verarbeiteten 30 Kubikmeter Wasser pro Sekunde und waren einst technisch das Beste, was man konstruieren konnte. Denkmalschützer hatten für den Erhalt des Bauwerks gekämpft. Eigentlich kein Problem, sollte man meinen, da der Neubau ja nicht auf dem gleichen Gelände entsteht.
Allerdings war der Altbau ein Ausleitungskraftwerk, das heißt man zweigte einen Teilstrom des Rheins ab, um die Turbinen mit Wasser zu versorgen. Dieser Seitenarm wird jetzt für einen renaturisierten Fischaufstieg benötigt. Mit seiner Hilfe können wandernde Fische das gewaltige Sperrwerk, das der mitten in den Fluss gebaute Neubau darstellt, überwinden. Eine Ausgleichsmaßnahme, auf die Bauleiter Helmut Reif sehr stolz ist. Der von ihm verfolgte Ansatz unterscheidet sich von anderen dadurch, dass es sich nicht nur um eine technische »Fischtreppe« handelt, sondern um einen Lebensraum, der den ursprünglichen Charakter eines Mittelgebirgsflusses mit Stromschnellen und Kiesinseln nachahmt. So wird beispielsweise gezielt eine »Lockströmung« erzeugt,
Weitere Kostenlose Bücher