Abgeschaltet
Extrembetrachtungen »Current Policies« (weiter so) und »450 Scenario« (die CO 2 -Konzentration in der Atmosphäre wird auf 450 von einer Million Teilchen stabilisiert) tritt seit 2010 eine weitere, das »New Policies Scenario«. Es geht davon aus, dass die in Kopenhagen grundsätzlich vereinbarten Klimaziele überwiegend in konkretes politisches Handeln überführt werden. Der Energiebedarf steigt in dieser Zukunftsversion um 1,2 Prozent pro Jahr. Ein deutlicher Fortschritt, legte doch der Verbrauch in den vergangenen drei Jahrzehnten jedes Jahr um zwei Prozent zu. Das Wachstum der Energienachfrage bis 2035 wird nicht mehr von den Industriestaaten getrieben, sondern von den neuen Industrieländern, ganz besonders von China, das 22 Prozent des Weltenergieverbrauchs verantworten wird, dicht gefolgt von Indien mit 18 Prozent.
Auch wenn sich die Nutzung erneuerbarer Energien bis 2035 verdreifacht, führt der insgesamt wachsende Energiebedarf dazu, dass sich ihr Anteil weltweit nur verdoppelt. Öl stellt aber nach Angaben der IEA auch in einem Vierteljahrhundert noch 28 Prozent der Primärenergie zur Verfügung. Und das, obwohl der Ölpreis sich – in heutiger Kaufkraft ausgedrückt – auf 113 Dollar je 159-Liter-Fass einpendeln wird. Anders ausgedrückt: Der heutige Rekordwert ist dann Alltag.
Paris. Bei der Anreise zum Gespräch mit IEA-Direktor Tanaka bin ich deutlich nervöser als vor anderen Interviewterminen. Es ist Ende März, nur drei Wochen nach Erdbeben, Tsunami und Reaktorkatastrophe in seinem Heimatland. Werde ich die richtigen Worte finden? Als ich das Gebäude der IEA betrete, eine in Beton gegossene Zukunftsphantasie der siebziger Jahre, habe ich längst beschlossen, offensiv mit dem Thema umzugehen.
»Lassen Sie mich zunächst mein Mitgefühl für das Leid aussprechen, das Ihrem Volk widerfahren ist.«
»Herzlichen Dank für Ihre Anteilnahme. Eine Katastrophe dieses Ausmaßes hat niemand vorhersehen können. Der schlimmste Tsunami seit mehr als 100 Jahren!«
»In die Zukunft zu sehen ist Teil der Aufgabe der IEA.«
»Es ist wichtig zu verstehen, dass wir keine Prognosen abgeben. Vielmehr gestalten wir Modelle, anhand derer man die künftigen Konsequenzen heutiger Entscheidungen nachvollziehen kann. Wenn man diese Modelle mit bestimmten Daten füttert, etwa zum Ölpreis, dann entsteht daraus ein Szenario. Wir haben in den letzten Jahren mehrere Szenarios aufgebaut, zuletzt das »New Policies«-Szenario.«
»Aber für wie wahrscheinlich halten Sie das Eintreffen eines bestimmten Szenarios?«
»Es gibt Extremszenarien wie »450 ppm« oder »Business as usual«, zwischen denen sich die Realität wahrscheinlich bewegt. Diese wahrscheinliche Mitte haben wir mit »New Policies« abzubilden versucht.«
»Können disruptive Ereignisse wie die Reaktorkatastrophe in Fukushima solche Szenarien nicht von einem Moment auf den anderen obsolet machen?«
»Nun, die meisten Staaten reagieren recht besonnen und versuchen erst einmal, die Ereignisse in Fukushima genau nachzuvollziehen. Aber natürlich wird die Nutzung der Kernkraft stärker hinterfragt.«
»Mit der sofortigen Stilllegung mehrerer Reaktoren scheint Deutschland allein zu stehen. Wird der von Ihnen favorisierte Ausbau der Kernkraft andernorts trotzdem gebremst fortgesetzt?«
»Ich hoffe das! Es wird ansonsten sehr schwer, die Klimaschutzziele zu erreichen. Auch unser 450-ppm-Szenario, das den stärksten Ausbau der regenerativen Energien vorsieht, kommt nicht ohne eine Steigerung des Kernkraftanteils aus.«
»Angenommen, dass es doch eine größere Abkehr von der Kernkraft gäbe, wer würde profitieren: die regenerativen Energien oder die fossilen Energieträger?«
»Ich glaube, dass in einem solchen Fall Erdgas ein großer Profiteur sein könnte. Um zu einer validen Aussage zu kommen, müssen wir aber ein solches Modell erst einmal in Ruhe durchrechnen. Ganz sicher ist aber, dass Öl als Alternative begrenzt ist. Die Tage billigen Öls sind vorüber, ein für alle Mal. Wenn wir Kohle verstärkt nutzenwollen, dann ist es unabdingbar, dass wir Technologien zur Kohlendioxidabtrennung und -speicherung nutzen.«
»Auch diese Technologien kosten Geld.«
»Ja, aber man kann die Aussage auch erweitern: Die Tage billiger Energie sind vorüber.«
»Diese Entwicklung setzt allerdings voraus, dass sich alle Staaten in Richtung kohlendioxidarme Energieerzeugung entwickeln. Wenn nur die Industrieländer auf erneuerbare Energien setzen, dann reichen die
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