Abgeschaltet
weniger gierig werden«, so Rutschmann. Bei Hochwasser zum Beispiel sollte der Geschiebedurchgang ermöglicht werden. »Man muss darüber nachdenken, ob man nicht an wenigen Tagen im Jahr alles aufmacht.« Um den Fischbeständen eine bessere Regeneration zu ermöglichen, sind die Abstände zwischen den Staustufen deutlich größer zu halten, als dies in der Hochphase des deutschen Wasserbaus vor 100 Jahren der Fall war.
Ein erstes Auslandsprojekt bahnt sich in Ägypten an. Am Nil gibt es Stauwehre unter Brücken, die rein zur Wasserregulierung gebaut wurden. Will man sie energetisch nutzen, ohne die Wehre umzubauen, wäre ein Ansatz, der auf zwanzig Schachtanlagen setzt, wahrscheinlich der wirtschaftlichste. Abgesehen davon, dass man die teilweise wunderschönen alten Anlagen erhalten kann.
Andere Forscher arbeiten an weiteren Konzepten für die Kleinwasserkraft. So scheint es, als würden die Wasserräder – als Mühlräder schon vor Jahrtausenden bewährt – eine Renaissance erleben. Im Unterschied zur »guten alten Zeit« sind moderne Konzepte jedoch nicht mehr auf eine direkte mechanische Kopplung zwischen Wasserrad und arbeitender Maschine angewiesen. Vielmehr wird mit Hilfe des Wassers auch hier Strom erzeugt. Allerdings stellen der Wirkungsgrad und teilweise auch die Dauerfestigkeit solcher Anlagen eine Herausforderung dar. Ein hoher Wirkungsgrad lässt sich mit Wasserrädern nur erreichen, wenn der Spalt zwischen dem Boden des Flusses und den Schaufeln des Wasserrades möglichst klein ist – ein Problem für größere Fische, die buchstäblich riskieren, unter die Räder zu kommen.
Eine besonders fischfreundliche Idee wurde in der Anglernation Frankreich entwickelt: die VLH-Turbine. »VLH« steht für »Very low Head«, sehr geringe Fallhöhe. Diese Turbine, die bereits getestet wird, bricht mit einem Grundprinzip des Turbinenbaus. Während die Ingenieure aus Effizienzgründen normalerweise versuchen, die Turbine möglichst kompakt auszuführen und die benötigte Leistung mit einer hohen Drehzahl erzeugen, sind die Tüftler des Start-up-Unternehmens MJ2 den entgegengesetzten Weg gegangen: Die Turbine ist genauso groß wie die Fallhöhe, also mindestens 1,4 Meter, und wird in einem quadratischen Modul leicht geneigt in eine Öffnung des Wehrs eingebaut. Die acht dementsprechend großen Schaufeln gleiten mit nur 40 Umdrehungen pro Minute durch das Wasser, so langsam, dass selbst große Fische wie Lachse oder Aale durch die Turbine hindurchschwimmen können – und das sogar gegen den Strom, da die Turbine nur ins Wasser gehängt wird, ohne dass wie bei anderen Bauarten hinter der Turbine ein Kanal angelegt wird, der das durchströmende Wasser beschleunigt. In aufwändigen Tests, bei denen die Fische vor der Turbine ausgesetzt und dahinter wieder eingefangen und untersucht wurden, konnte die grundsätzliche Schutzfunktion der VLH-Turbine bestätigt werden. Damit der Generator trotz der geringen Turbinendrehzahlen Strom in der richtigen Frequenz liefert, kommt ein Getriebe zum Einsatz, wie wir es auch aus Windkraftanlagen kennen. Damit kann die Turbine auch bei niedrigem Wasserdurchfluss im Hochsommer optimal betrieben werden – nur bei Hochwasser wird sie aus dem Wasser gefahren, damit kein Stau entsteht. Aus anderthalb Metern Fallhöhe kann eine VLH mehr als 100 Kilowatt Leistung erzielen, abhängig wie immer von der Fließgeschwindigkeit des Wassers.
Während sich beim französischen Projekt nur die Turbine anheben lässt, setzt eine kleine Firma aus Karlsruhe auf ein bewegliches Krafthaus, das einen Teil bestehender Stauwehre ersetzen soll. Bei Normalwasser überströmt der Fluss das Krafthaus, Fische können über dessen Dach in den niedrigeren Flussabschnitt hinuntergleiten. Bei höheren Wasserständen wird das Krafthaus angehoben, unter ihm können nicht nur Fische, sondern auch jegliches Geschiebe ungehindert passieren. Technisch ist dieses Konzept faszinierend, zumal es ermöglicht, auch bei Hochwasser die volle Kraftwerkleistung zu erbringen. Allerdings sind die Baukosten einer derart komplexen Anlage erheblich – was erste Pilotanwender wie die Stadtwerke im badischen Offenburg bislang nicht geschreckt hat. In der Gemeinde Gengenbach wird eine der ersten deutschen Anlagen regulär betrieben und erzeugt den Strom für 750 Haushalte.
Kleine Wasserkraftwerke beflügeln seit einigen Jahren Erfinder, Forscher und Ingenieure. Dabei sind praktikable und auch wirtschaftliche Lösungen entstanden.
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