Abgeschaltet
USA emigrierten russischen Ingenieur Alexander Kalina. Sein Trick: Er nutzt ein Ammoniak-Wasser-Gemisch, das von dem heißen Erdwasser erhitzt und anschließend so weit verdichtet wird, dass heißer Dampf entsteht, der eine Turbine antreibt. Da das Ammoniak-Wasser-Gemisch nicht schlagartig, sondern über einen weiten Temperaturbereich kondensiert, ist die Energieausnutzung sehr hoch. Würde man wie in konkurrierenden Verfahren stattdessen ein organisches Fluid verwenden, käme man auf nur knapp 10 Prozent elektrischen Wirkungsgrad. Die Angaben zum noch jungen Kalina-Verfahren schwanken, reichen aber bis zu einer Verbesserung um 60 Prozent (das wären absolut dann 16 Prozent Wirkungsgrad).
IN UNTERHACHING PASSIERT ES
Das erste deutsche Kraftwerk, das den Kalina-Prozess nutzt, steht in Unterhaching. Knapp mehr als 20000 Einwohner, S-Bahn-Haltepunkt, klassische Münchner Vorstadt. Nicht besonders hässlich, nicht besonders protzig, ein Wohnort für Besserverdienende eben. Was man der Stadt nicht ansieht: Sie liegt auf dem süddeutschen Molasse-Becken, ein Gebiet, das sich zwischen fränkischer Alb im Norden und dem Alpenrand im Süden erstreckt. In Tiefen zwischen 1500 und 5000 Metern finden sich umfangreiche Warmwasservorkommen.
Im Büro der Geothermie Unterhaching treffe ich mich mit Geschäftsführer Wolfgang Geisinger. Während ich auf ihn warte, blättere ich durch verschiedene Broschüren, in denen den Bewohnern Unterhachings die Geothermie schmackhaft gemacht wird. Ambiente und Werbung erinnern mich an ein Bürgerbüro eines kleinen Stadtwerkes oder einer Krankenkasse. Der ehemalige Siemens-Manager, einst Opfer einer Umstrukturierung, begrüßt mich freundlich und fährt mich in seinem Toyota Prius zum Kraftwerk. Das steht in einem Gewerbegebiet, das aussieht wie jedes andere kleinstädtische auch: Neben Discounter-Supermärkten haben größere Handwerksbetriebe ihre Niederlassungen. Industrie im eigentlichen Sinn fehlt. Ganz am Rand dann eine mit Aluminium verkleidete Halle, so unscheinbar, dass man eher eine kleine Fertigung und nicht eine Pioniertat der Energiewirtschaft dahinter vermutet.
Um die handelt es sich allerdings. Es ist schon ungewöhnlich genug, dass eine relativ kleine Kommune sich entscheidet, ein eigenes Fernwärmenetz aufzubauen und dieses mit Erdwärme zu speisen. Von den Gesamtinvestitionen in Höhe von 80 Millionen Euro entfällt allein die Hälfte auf das Wärmenetz, das Anfang 2011 bereits 4700 Haushalte versorgt. Das entspricht Anschlusskosten von 8500 Euro je Haushalt, von denen die Kunden maximal 3000 Euro selbst tragen müssen. Ein Ausbau auf bis zu 10000 Haushalte ist geplant.
Seit 2009 wird in Unterhaching die Geothermie zudem zur Stromerzeugung genutzt. Ein Weg mit vielen Hindernissen, da niemand über Erfahrungen mit dieser Technik verfügte. Der Anlagenbauer, aber auch die Kommune hat viel Lehrgeld bezahlt. Allein die Förderpumpe für das Wasser aus der Tiefe wurde fünf Mal ausgetauscht. Mittlerweile sind weniger Störungen zu verzeichnen, die Verfügbarkeit der Anlage, formuliert Geisinger, sei »in einem vernünftigen Fenster«. Damit wird der Betrieb zum ersten Mal kalkulierbar.
Wie hoch allerdings das Ergebnis eines einzelnen Jahres ausfällt, hängt auch davon ab, wie kalt es im Winter ist. Die Versorgung mit Heizungswärme hat auch im knackigsten Winter stets Priorität. Bei Außentemperaturen unter –3 Grad wird die Kalina-Anlage abgeschaltet, der Ertrag aus dem eingespeisten Strom fehlt dann. Wird es noch deutlich kälter, –16 Grad etwa, kann es sein, dass sogar fehlende Wärme durch ein Öl- oder Gas-Heizkraftwerk erzeugt werden muss. Das wird aber ohnehin als stille Reserve für den Notfall benötigt.
Unser Rundgang beginnt außerhalb der Halle an einem kleinen containerartigen Gebäude. Darunter führt das Bohrloch in drei Kilometer Tiefe. Die letzten 600 Meter der einzementierten Rohre haben viele kleine Löcher, durch die das Wasser in die Leitung einströmt. Allein durch den Druck der darüberliegenden Gesteinsmassen strömt das Wasser auf eine Höhe von bis zu 150 Metern unter der Erdoberfläche. Um den Rest zu überbrücken, aber auchum die gewünschte Wassermenge von bis zu 150 Litern pro Sekunde zu erreichen, wird in 950 Metern Tiefe eine Pumpe eingesetzt. Die braucht aufgrund ihrer Leistung von 1,3 Megawatt nicht nur einiges an Strom (etwa ein Drittel der Kraftwerksleistung), sondern auch permanente Kühlung. Das Gebläse für die Kühlung ist
Weitere Kostenlose Bücher