Abgeschaltet
das Kohlendioxid ausgast und abgeführt werden kann. Die Waschmittellösung besteht zu 20 bis 40 Prozent aus Aminosäuresalzen, der Rest ist entsalztes Wasser, wie es im Kraftwerk ohnehin zum Einsatz kommt. Nachfüllen muss der Kraftwerkbetreiber allerdings selten, denn die Lösung verbraucht sich nicht, sondern wird zum ersten Turm zurückgeleitet. Zum Erhitzen nimmt man übrigens Wärme aus dem Kraftwerk. Wirkungsgradneutral ist das jedoch nicht, denn benutzt wird Dampf, der ansonsten noch einmal durch eine Turbine – die Niedrigtemperaturturbine – gejagt worden wäre und dort Strom erzeugt hätte.
Die Anlagentechnik im Staudinger ähnelt der vieler anderer CCS-Pilotversuche, die in den vergangenen Jahren durchgeführt wurden. Eine Besonderheit stellt das verwendete chemische Waschmittel dar. Aminosäuren sind zwar Säuren, aber eben solche, die in der Natur ohnehin vorkommen (beispielsweise in Energy-Drinks und Futtermitteln). Konkurrierende Technologien basieren überwiegend auf dem giftigen und brennbaren MEA (Monoethanolamin). Bei den enormen Mengen, die von der Waschmittellösung benötigt werden, nämlich 1000 Kubikmeter für ein Kraftwerk mit 800 Megawatt Leistung, ist es von Vorteil, wenn ein unbedenklicher Stoff eingesetzt wird – auch wenn MEA heute in der chemischen Industrie bereits verbreitet ist. Zusätzlicher Vorteil der Aminosäure: Sie liegt gebunden im Salz vor, so dass sie nicht verdampft. Was für die Umwelt ein Vorteil ist, bedeutet für die Techniker eine zusätzliche Herausforderung: Sie müssen es schaffen, den Rest Schwefel, der sich im Abgas befindet und sich ebenfalls gern an das Waschmittel anlagert, wieder herauszubekommen. Ansonsten müsste man es allzu rasch erneuern.
Neben dem Waschen des Rauchgases per Absorption sind viele andere Reinigungstechniken in der Diskussion. So sind Anlagendenkbar, bei denen die Kohlendioxidmoleküle wie in einem Sieb an einer Membran vom Rest getrennt werden. Allerdings sind die meisten dieser Techniken noch nicht einmal in einer Pilotanlage getestet worden. So benötigen die heute bekannten Membranen zu große Flächen, um den enormen Rauchgasstrom eines großen Kraftwerkblocks reinigen zu können. Anders sieht es mit dem MEA-Prozess aus, der in der chemischen Industrie bereits zum Einsatz kommt. Das Waschmittel gegen ein umweltfreundlicheres auszutauschen, dürfte der schnellste Schritt zu einer funktionierenden Kohlendioxidabscheidung sein. Andere Verfahren werden wohl erst deutlich nach 2020 marktreif werden – was nicht gegen sie spricht, sondern einfach nur für weiteren Forschungsbedarf.
Die Pilotanlage im Staudinger reinigt nur ein Zehntausendstel des tatsächlich anfallenden Abgases, deshalb ist sie auch so schlank. Seit 2009 in Betrieb, soll sie den Nachweis erbringen, dass die nachträgliche Kohlendioxidabtrennung tatsächlich funktioniert. Bei meinem Besuch im Februar 2011, der Pilotversuch ist gerade verlängert worden, bekräftigen Anlagenbauer und Kraftwerkbetreiber, dass die Technik sich bewährt hat. 90 Prozent des CO 2 wären auszuwaschen, auch unter den realen Betriebsbedingungen, unter denen die chemische Zusammensetzung des Abgases schwanken kann, je nachdem, welche Kohle zum Einsatz kommt. Außerdem wollen die Techniker um Rüdiger Schneider herausfinden, wie stark der Gesamtwirkungsgrad der Anlage durch ihre Technik sinkt. Aus den vorliegenden Messungen lässt sich ablesen, dass der Wirkungsgrad eines Kraftwerks nur durch die Abscheidung um sechs Prozent sänke. »Bei einer großen Anlage hätten Sie eher geringere Wärmeverluste, so dass das Ergebnis gut zu übertragen ist«, erläutert Schneider. Allerdings kämen im Ernstfall weitere 2,5 Prozent für die Verdichtung des Kohlendioxids auf 200 bar hinzu – momentan kann man mit dem Kohlendioxid, das im Staudinger mühevoll gesammelt wird, nichts anfangen. Man entlässt es daher, wie sonst auch, wieder in die Atmosphäre.
Der nächste Entwicklungsschritt wäre jetzt eine deutlich größere Anlage. Die macht allerdings nur Sinn, wenn man das Kohlendioxid auch speichert. »Von der Technologie her werden wir 2020 so weit sein, einen Gigawatt-Kraftwerksblock auszurüsten«, bekräftigt Schneider. Aber was nutzt das, wenn man das Klimagas dann nirgends sicher verstauen kann? Beim Staudinger-Betreiber E.ON hält man sich daher auch bedeckt. In früheren Werbeprospekten stand noch, dass der geplante Neubau eines 1,1-Megawatt-Blocks mit Kohlendioxidabscheidung ausgerüstet
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