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Abgeschaltet

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Titel: Abgeschaltet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Winterhagen
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einige der Dinge, die man sicher wissen müsste, um die Kohlenachfrage und das Angebot für ein bestimmtes Jahr vorauszusagen. Wir können aber auf jeden Fall davon ausgehen, dass in dem für den Kraftwerksbau relevanten Zeitraum von 30 Jahren Kohle vorhanden sein wird, wenn wir auch nicht exakt wissen, zu welchem Preis.
    Kohle zu verstromen ist eine bewährte Technik, und seit als Reaktion auf das Waldsterben das Rauchgas entschwefelt wird, sind die unmittelbaren Auswirkungen auf die Umwelt begrenzt. Aber beim Verbrennen von Kohle entsteht nun einmal Kohlendioxid. Und zwar relativ viel: Für eine Kilowattstunde Strom fallen je nach Güte des Kraftwerks 800 bis 1200 Gramm CO 2 an, wenn Steinkohle verbrannt wird. Braunkohlekraftwerke emittieren je Kilowattstunde noch etwas mehr. Daher arbeiten Wissenschaftler aus aller Welt an Verfahren, dieses Kohlendioxid einzufangen – vor, während oder nach der Verbrennung – und sicher zu speichern. Sie benutzen für solche Verfahren in der Regel das Kürzel CCS, es steht für »Carbon Capture and Storage«.
    Selbst überzeugte Verfechter von Sonnen- und Windstrom wie Peter Hennicke halten die CO 2 -Abscheidung für erforderlich, zumindest falls nicht alle Effizienzmaßnahmen greifen. Daher ist es erstaunlich, dass diese Technologie im Zusammenhang mit demdeutschen Atomausstieg so wenig diskutiert wird. Der Effekt auf die Weltklimabilanz wäre auf jeden Fall erheblich. 2030 könnte die vom Energiesektor verantwortete Kohlendioxidemission allein durch CCS um ein Sechstel niedriger ausfallen, meint Juho Lipponen, der das Thema CCS bei der Internationalen Energieagentur verantwortet. Dies entspräche einer Einsparung von fast sechs Milliarden Tonnen des Klimagases pro Jahr. Umgekehrt kann man seinen Berechnungen ebenfalls entnehmen, dass CCS kein Allheilmittel ist, sondern die Suche nach Alternativen zu fossilen Brennstoffen lediglich zeitlich entschärft.
    Lipponen nennt auch die Voraussetzungen, damit sich die mildernde Wirkung von CCS entfalten kann: Bis 2030 müssten weltweit 850 Kohlekraftwerke, bis 2050 sogar 3400 mit dieser Technik ausgerüstet werden (oder alternativ andere Großemittenten wie Stahl- und Zementfabriken). Dies entspräche einer Investition von drei Billionen US-Dollar in den nächsten 40 Jahren. Zudem muss das Kohlendioxid ja irgendwo bleiben: Allein bis 2050 müsste man 150 Milliarden Tonnen CO 2 lagern – vielmehr anders lagern, denn heute dient uns ja die Erdatmosphäre als Deponie. Dazu, welche unterirdischen Lagerkapazitäten weltweit tatsächlich zur Verfügung stehen, gibt es noch keine verlässlichen Aussagen.
    Wie soll das überhaupt funktionieren? Im Prinzip werden drei technische Wege verfolgt, die sich alle noch im Prototypenstadium befinden: Entweder man trennt das Kohlendioxid aus dem Rauchgas ab, oder man entfernt es schon vorher aus dem Brennstoff. Eine dritte Möglichkeit bietet die Verbrennung mit reinem Sauerstoff, bekannt als Oxyfuel-Verfahren. Am weitesten entwickelt sind die Verfahren, die auf eine Abtrennung des Kohlendioxids aus dem Rauchgas zielen. Sie haben auch das größte Potenzial auf einen schnellen Einsatz, weil man sie bei bestehenden Kohlekraftwerken nachrüsten kann. Einige Pilotanlagen haben die grundsätzliche technische Machbarkeit nachgewiesen. Im »Staudinger«, einem der größten Kraftwerke in Hessen, sehe ich mir den erreichten Stand an.
EINE WASCHMASCHINE FÜR KOHLENDIOXID
    Fast bin ich enttäuscht. So gigantisch das nahe Hanau gelegene 2000-Megawatt-Kraftwerk Staudinger mit fünf großen Blöcken wirkt, so unscheinbar, fast zierlich schmiegt sich die CCS-Pilotanlage außen an den Kessel des neuesten Blocks: Zwei Silberne Rohremit jeweils wenigen Dezimetern Durchmesser, eines 35, das andere 20 Meter hoch. Darunter eine Art Baucontainer. Mehr nicht. Unsichtbar ist der Prozess, der in dieser Anlage abläuft: Ein Teil des bereits von Stickoxiden gereinigten Kraftwerkabgases wird durch das höhere der beiden Rohre geleitet, das in Wirklichkeit gar kein Rohr ist, sondern ein Absorberturm, befüllt mit einer Waschmittellösung. Damit möglichst viel von dem Gas mit dem Waschmittel in Kontakt kommt, wird es über stählerne Kanäle in die Kolonne eingebracht, deren Form mich an große Bienenwaben erinnert. Die CO 2 -Moleküle haften am Waschmittel und werden mit ihm in den kleineren der beiden Türme transportiert. Dort wird die verschmutzte – oder wie Fachleute sagen: gesättigte – Lösung so lange erhitzt, bis

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