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werden. Die Spaltprodukte werden anschließend elektrolytisch aus der Salzschmelze wieder entfernt. Dieser Reaktortyp ist damit »inhärent« sicher, wie es die Kerntechniker ausdrücken, wenn eine Kernschmelze nicht stattfinden kann. So spannend das Konzept sein mag, es gibt auch ungelöste Probleme. Salzverbindungen sind sehr korrosiv. Und daran gearbeitet wird nur von kleinen Gruppen im universitären Rahmen.
Nach Meinung von Schulenberg könnten Reaktoren der vierten Generation schon vor 2030 gebaut werden. Insbesondere natriumgekühlte Anlagen und der Kugelhaufenreaktor wären schneller zu realisieren. Aber der Markt verlange heute Druckwasserreaktoren. Ein wesentlicher Grund für die Zurückhaltung der Betreiber dürfte das verbleibende wirtschaftliche Risiko sein: Eine Anlage mit neuer Technik, selbst wenn sie sicherer wäre, genehmigt zu bekommen, ist schwieriger, als einen Siedewasserreaktor zu bauen. Und der produziert auf jeden Fall Strom. Was also könnte der Anreiz für ein betriebswirtschaftlich denkendes Unternehmen sein, um auf neue Konzepte zu setzen? Der einzige Grund, warum die Betreiber von Kohle- und Gaskraftwerken auf immer effizientere Technik gesetzt haben, sind die steigenden Brennstoffkosten, die bei einem Gaskraftwerk zwei Drittel der Gesamtkosten ausmachen. Uran ist hingegen ein billiger Rohstoff, der in der Gesamtkalkulation eines Kernkraftwerks keine Rolle spielt. Eine Verknappung mag in 70 Jahren zu erwarten sein, aber vorläufig verharrt der Preis auf dem Niveau der achtziger Jahre.
Ist denn die vierte Generation nun sicherer als die heutige? »Das würde ich nicht unterschreiben«, sagt Schulenberg. »Da ist viel Neuland dabei, und die Gefahr, dass etwas schiefgeht, besteht immer bei etwas Neuen.« Dies gälte insbesondere für den gasgekühlten, schnellen Reaktor. In Summe bin ich enttäuscht – ich hatte erwartet, technisch völlig neue Konzepte für das Kernkraftwerk der Zukunft zu sehen. »Bei der vierten Generation ist nichts dabei, wo wir sagen können: Das ist so klasse, da können wir die gesamte zweite und dritte Generation vergessen«, sagt auch Schulenberg. Wenn man meine Eingangsthese teilt, dass ein Reaktor nur dann wirklich sicher ist, wenn er nicht schmelzen kann, dann sind die meisten der Generation-IV-Reaktoren nicht absolut sicher. Allein der Kugelhaufenreaktor und der Salzschmelze-Reaktor erfüllen diese Voraussetzung. Und für den Kugelhaufenreaktor hat ausgerechnet das Forschungszentrum Jülich, das ihn einst entwickelte, berechnet, dass es auch ohne Kernschmelze bei einem Totalausfall der Kühlung zu massiver Freisetzung von Radioaktivität kommen kann.
Von der Politik nicht unterstützt, von der Wirtschaft nicht hartnäckig vorangetrieben: Die Forschung an der vierten Generation läuft in Deutschland auf Sparflamme. »Ein paar Dutzend Leute sind das vielleicht«, so Schulenberg. »In Frankreich sind es mindestens zehn Mal so viele.« Direkt neben seinem Institut steht jetzt die Pyrolyse-Versuchsanlage, die für die Biokraftstoffherstellung mit dem Bioliq-Verfahren genutzt wird.
SICHER ODER ABSOLUT SICHER?
Je länger ich recherchiere, je mehr ich lese, desto sicherer werde ich in meinem Urteil: Extrem gefährlich sind Kernkraftwerke nicht. Es sterben nachweislich viel mehr Menschen bei der Gewinnung und an den Folgen der Nutzung fossiler Rohstoffe. Aber es ist wohl auch wahr, dass es beim Einsatz keiner Technologie absolute Sicherheit gibt. Schon gar nicht bei einem Prozess, der auf einer Kettenreaktion in einem nuklearen Reaktor beruht. Der Unterschied zwischen einem Verkehrsunfall, so verheerend er sein mag, und einem havarierten Kernkraftwerk ist vor allem die langfristige und großflächige Verseuchung von Orten. Sie geht in Fukushima weit über das hinaus, was wir beim Unfall der Ölplattform Deepwater Horizon im Golf von Mexiko erlebt (und mal ehrlich: fast schon vergessen) haben. Insofern ist es verständlich, wenn die Technikhistorikerin Martina Heßler in der FAZ schreibt: »Tschernobyl und Fukushima stellen eine Zäsur in der Geschichte technischer Kulturen dar.«
WAS UNS BLEIBT
Kernkraftwerke werden heute vor allem unter dem Aspekt ihrer Betriebssicherheit diskutiert. Ein weiterer problematischer Aspekt der Kernenergie ist aber der radioaktive Abfall, der bei ihrem Betrieb entsteht. Nun ist ein »abgebrannter« Kernbrennstab aus energetischer Sicht keinesfalls wertlos. Nicht einmal fünf Prozent des Materials werden nämlich im Kraftwerk genutzt.
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