Abgeschnitten: Thriller (German Edition)
Seinem Gesicht fehlte der halbe Unterkiefer, und in der linken Wange klaffte ein grob gezacktes Loch. Die Quelle des fauligen Atems, der Linda mit jedem Wort ins Gesicht wehte. Und der Grund, weshalb jedes Wort aus seinem Mund von Zischlauten begleitet wurde.
»Ich bin’s doch: Danny, dein Liebster.«
Danny.
Jetzt konnte Linda sich nicht mehr gegen die Wahrheit stemmen. Der Killer war kein Fremder mehr. Die Gefahr hatte einen Namen. Und sie kam auch nicht von außen, sondern hatte sich die ganze Zeit nah bei ihr versteckt gehalten.
Direkt in dem Kühlfach neben mir.
Dann hatte sie sich also doch nicht geirrt, und es war keine Einbildung gewesen, als sie vorhin glaubte, seinen Schatten im Spiegel des geöffneten Fahrstuhls vorbeihuschen zu sehen. War er seitdem mit ihr in der Pathologie gewesen? Linda riss den Mund auf und versuchte, von Danny loszukommen, als dieser unerwartet seinen Griff lockerte.
»Ganz ruhig, Liebling. Hab keine Angst!«
Danny Haag, der Stalker, den ihr Bruder für immer von ihr hatte fernhalten wollen – der Mann, vor dem sie nach Helgoland geflüchtet war, nur um sich hier in der Hölle wiederzufinden –, ebendieser Mann versuchte zu lächeln und verstärkte dadurch seinen fratzenhaften Anblick.
Er streckte ihr die Hand entgegen, als wollte er ihr aufhelfen.
»Dein Bruder Clemens wollte uns auseinanderbringen«, sagte er schwerfällig. Linda blieb am Boden hocken und sah entsetzt zu Danny auf, dem Tränen in den Augen standen.
»Er ist gegen unsere Liebe, Kleines. So sehr, dass er versucht hat, mich umzubringen. Wusstest du das?«
Linda schüttelte ihren Kopf wie in Trance.
Sie registrierte, dass Dannys Haare, einst der ganze Stolz des eitlen Künstlers, weder geschnitten noch gewaschen waren.
»Erst haben sie mich zusammengeschlagen, dein Bruder und seine tätowierten Freunde. Dann haben sie mich im Wald zurückgelassen. Und auf einmal taucht dieses Mädchen auf. Er hat ihr gesagt, wo sie mich findet.«
Er sprach langsam, bemühte sich, verständlich zu sprechen, was ihm wegen seiner Verletzungen aber nicht gelang. Die Worte hatten oft keinen Anfang und kein Ende, schwappten zischelnd ineinander über.
Danny zog die Nase hoch. Seine Stimme wurde weinerlich. »Fast wären wir für immer getrennt gewesen, Liebling. Du weißt nicht, was ich durchmachen musste. Halbtot, im Kofferraum, im Wald. Nur die Erinnerung an dich und an unsere Liebe hat mich am Leben erhalten. Ich habe gebetet, dass du vorbeikommst, mein Engel, und mich rettest. Aber stattdessen kam der Teufel. Ich dachte, die Kleine wird mir helfen, da nimmt die sich eine Waffe, die dein Bruder im Wagen für sie plaziert hatte, und schießt mir ins Gesicht.«
Linda tappte benommen mit der linken Hand auf dem Fußboden herum in der Hoffnung, eines der Instrumente zu berühren, die vorhin aus dem Schrank gefallen waren.
Den Eispickel vielleicht, am besten das Seziermesser. Verdammt, wo hab ich das Messer gelassen?
»Ich glaube, das Mädchen war nicht einmal strafmündig«, sagte Danny, und in ihrer Angst hatte Linda fast vergessen, von wem er sprach.
»Damit sie nicht ins Gefängnis muss, wenn sie erwischt wird. Doch es hat nicht funktioniert, wie du siehst. Sie hat nicht kontrolliert, ob ich auch wirklich tot bin. Sonst hätte sie bemerkt, dass ich den Kopf noch rechtzeitig zur Seite gerissen hatte.«
Er präsentierte Linda den durch die Kugel zerstörten Unterkiefer. Sie stand auf.
Widerwillig empfand Linda so etwas wie Mitleid mit Danny, dem der Sabber unkontrolliert aus den Wundrändern tropfte.
»Ich gebe zu, unmittelbar danach war ich voller Hass. Ich wollte mich rächen. An deinem Bruder, diesem Mädchen und, ich gestehe, auch an dir, denn du hast mich nicht einmal angerufen. Und ich konnte dich unter deiner Nummer nicht mehr erreichen. Und während ich zu Hause liege, mich mit Schmerzmitteln vollpumpe und vergeblich auf deinen Anruf warte, hab ich mir ausgemalt, was ich euch alles antun kann.«
Er grinste sein schauerliches Lächeln, und Lindas Mitleid wandelte sich in blankes Entsetzen. »Wie hast du mich gefunden?«, stieß sie hervor.
»Über deine E-Mails. Zum Glück hast du mir dein Passwort gegeben.«
Gegeben? Du hast es ausspioniert! Wie die
PIN
meiner Mailbox und alles andere, mit dem ich meine Privatsphäre zu schützen versuchte!
»Ich hab die Mail von Clemens gelesen. Er schrieb, dass er das Haus auf Helgoland für dich organisiert hat, so als wärst du einverstanden. Ich habe die letzte
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