Abgeschnitten: Thriller (German Edition)
Schlüssel aus der Hand.
61. Kapitel
In der Hölle.
D ie metallisch klappernden Geräusche vor der Tür waren vor einer Weile verstummt, kurz nachdem jemand dagegen getreten hatte.
Das Schwein will mir Angst machen. Er zögert den Moment hinaus.
Sie griff nach oben, hielt sich mit beiden Händen an dem Strick fest, der ihr schon die Haut am Hals blutig gescheuert hatte. Jetzt konnte es nicht mehr lange dauern. Gleich würde der Irre mit seinen Spielchen aufhören, den richtigen Schlüssel ins Schloss stecken und den Kerker betreten.
Aber davor hatte sie keine Angst mehr. Auch nicht vor dem Tod. Jetzt, da sie ihr eigenes Ich wiedergefunden hatte, ausgerechnet in einer alten Umzugskiste. Dabei wusste sie nicht, weshalb der Anblick des Pappkartons nicht schon vorhin den Ball der Erinnerungen ins Rollen gebracht hatte. Doch darüber lohnte es sich jetzt nicht mehr länger nachzudenken. Jetzt musste sie handeln, bevor es zu spät war. Bevor der Irre mit dem Beschneidungsmesser ihr gegenüberstand, sie vom Strick schnitt, um sich erneut an ihr zu vergehen. Um sie bestialisch zu foltern. Zu töten.
Nein. Das ist jetzt vorbei. Keine Schmerzen mehr.
Sie hörte es wieder klirren. Wieder schlug das Schlüsselbund von außen gegen die Brandschutztür.
Sie blickte ein letztes Mal in die Kamera und zeigte dem Killer den Mittelfinger.
»Ich weiß jetzt, wer ich bin«, sagte sie und lächelte zufrieden.
»Ich bin keine Nutte, du Arsch.«
Dann schrie sie ihren Namen in die Kamera und sprang.
Als die Brandschutztür aufflog und die Männer hereinstürmten, war sie bereits tot.
62. Kapitel
Helgoland.
H annah«, schrie Herzfeld und hörte sich doppelt und dreifach. Der Ruf nach seiner Tochter wurde als Echo durch die Gänge des Bunkersystems geworfen. Direkt vor ihm fächerte sich der Eingangsbereich in zwei Tunnel auf, die in entgegengesetzte Richtungen liefen. Alles, was Herzfeld im Schein der Taschenlampe sehen konnte, waren betongraue Wände. Dicke Wassertropfen perlten aus den Poren des Mauerwerks und sammelten sich zu Pfützen auf dem leicht abschüssigen Boden.
»Hannah, bist du hier?«, versuchte es Herzfeld noch einmal. Etwas lauter. Sehr viel verzweifelter.
Schon nach wenigen Schritten durchströmte ihn eine Kälte, die ihn an den Einbruch im See und damit an den Tod erinnerte.
»Hannah? Kleines?«
»Hier ist jemand«, hörte er Bandrupp sagen, der an der Gabelung kurz hinter dem Eingang den anderen Weg genommen hatte. Er befand sich in einem der zahlreichen türlosen Räume, die in unregelmäßigen Abständen von dem Tunnel abgingen. Auch seine Stimme hallte durch das Labyrinth, so dass Herzfeld Probleme hatte, die Richtung zu orten, während er zum Eingang zurücklief.
»Wo?«, schrie er und hastete den Gang zurück.
Die Frage war überflüssig. Bandrupp und der Rettungsarzt standen vor dem Eingang zu einem schmalen, quadratischen Bunkerraum, aus dem ein flimmerndes, von elektrostatischen Geräuschen begleitetes Geräusch drang. Er drängte sich an den beiden vorbei und sah, weshalb seine Begleiter für einen kurzen Moment gezögert hatten, den Raum zu betreten.
Zu groß war ihre Angst, nur noch den Tod des Mädchens feststellen zu können.
Hannah!
Mit einem gequälten Schluchzer stürmte Herzfeld in die quadratische Kammer, kniete sich vor die Couch, auf der sie zusammengekrümmt lag, nahm ihre schlaffe Hand, und dann, als er erkannte, dass sie kein Lebenszeichen von sich gab, presste er ihren Körper an seinen, hielt sie engumschlungen und weinte in ihre offenen, nach Staub und Schweiß riechenden Haare.
»Ich bin bei dir, Kleines. Es ist vorbei. Ich bin bei dir, Hannah.«
Er spürte, wie ihm jemand die Hand auf die Schulter legte, wollte sich aber nicht zu der mitfühlenden Stimme des Bürgermeisters umdrehen. Stattdessen nahm er Hannahs Kopf in beide Hände, überprüfte ihre Atmung, fühlte nach dem Puls an der Halsschlagader.
»Cortison«, schrie er nach hinten, und der Arzt, der jetzt ebenfalls neben ihm kniete, schüttelte den Kopf.
»Ich glaub nicht, dass sie das noch braucht.«
»Was?« Herzfeld starrte ihn wütend an. »Meine Tochter ist Asthmatikerin, also quatschen Sie hier keinen Blödsinn, ziehen Sie lieber die Spritze auf.«
»Das ist nicht nötig.« Der Arzt deutete auf Hannah. »Schauen Sie doch.«
Und da sah Herzfeld es selbst: den Inhalator in ihrer Hand. Ihre flachen, aber gleichmäßigen Atemzüge.
»Sie hat keinen Anfall«, setzte der Arzt mit leisen Worten an.
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