Abgeschnitten: Thriller (German Edition)
»Ich weiß jetzt, wer ich bin. Ich bin keine Nutte, du Arsch.« Sie begann zu lächeln. »Mein Name ist Rebecca Schwintowski.«
Und damit sprang Jan Sadlers letztes Opfer, das siebzehnjährige Mädchen, das er schon vor Wochen verschleppt und gefoltert hatte, in den Tod.
Herzfeld wich von dem Fernseher zurück, krabbelte zu Hannah, die immer noch wie hypnotisiert auf den Bildschirm starrte. Weinend hielt er ihr eine Hand vor das Gesicht und sorgte so dafür, dass sie nicht noch einmal sah, was die Aufnahme als Nächstes festgehalten hatte: Die Tür des Kellerraums sprang auf, und zwei Männer stürmten herein, die Herzfeld sofort erkannte: Einer war sein ehemaliger Kollege Sven Martinek, den zweiten hatte er erst vor kurzem auf einem Videoband gesehen.
Der Vater Philipp Schwintowski hatte seine Tochter Rebecca gefunden.
Und für immer verloren.
63. Kapitel
Helgoland.
P aul Herzfeld?«, fragte die junge Frau, die aus der Dunkelheit mit einem Rucksack auf den Schultern getreten war.
»Linda?«
Herzfeld sah auf und schälte sich aus seinem ungemütlichen Platz auf der Plastikbank vor den Toren der Inselklinik. Vergeblich versuchte er, ein Gähnen zu unterdrücken. Die Müdigkeit war übermächtig. Er hoffte darauf, dass Hannah wieder wach wurde, bevor die Polizei vom Festland kam und ihn zur Vernehmung mitnahm. Sie war noch während des Transports aus dem Bunker in seinen Armen eingeschlafen. Jetzt lag sie im zweiten Stock der Klinik, dick eingemummelt in warmen Decken, mit Infusionen versorgt, die ihren Flüssigkeitshaushalt auf Vordermann bringen sollten. Bis vor zehn Minuten noch hatte er ununterbrochen ihre Hand gehalten, aber jetzt war er kurz nach draußen in die kalte Luft getreten, um nicht selbst in dem leicht überhitzten Krankenzimmer einzuschlafen.
»Wo warst du? Ich hab dich gesucht, Linda, aber man konnte dich nirgends finden.«
»Hab meine Sachen gepackt. Mich hält nichts mehr hier auf dieser Insel«, sagte sie. »Mit der ersten Fähre bin ich weg.«
Herzfeld nickte, und es entstand eine unangenehme Pause, weil er nicht wusste, was er zu der jungen Frau sagen sollte, die sich für ihn in Lebensgefahr begeben hatte.
Vorhin im Sektionssaal, nach ihrem Kampf mit Danny, hatte er nur kurz über ihr gekniet. Jetzt sah er Linda zum ersten Mal bewusst in die Augen und stellte fest, dass er sie sich ganz anders vorgestellt hatte. Wie so oft, wenn man nur die Stimme einer Person kannte, wollte die Realität nicht mit dem Bild übereinstimmen, das die Phantasie von dem Menschen zeichnete. Herzfeld hatte eine sympathische, aber bereits in jungen Jahren verlebt aussehende Frau erwartet. Interessant, aber keine Schönheit. Eine Künstlerin, die mehr Wert auf den Anblick ihrer Werke legte als auf ihr eigenes Äußeres. Nun stand eine selbstbewusste, intelligente Frau vor ihm, die sich ihrer eigenen Attraktivität nicht bewusst schien. Mit ihren ausladenden Hüften würde sie niemals einen Modelvertrag bekommen, aber danach strebte sie vermutlich genauso sehr wie nach einer Wiederholung der Ereignisse der vergangenen Stunden.
»Ich, ich …« Herzfeld merkte, dass er zu stottern begann, weil er immer noch nicht wusste, wie er sich angemessen dafür bedanken konnte, was sie für ihn getan hatte.
»Du hast meine Tochter gerettet«, sagte er schließlich.
Lindas Reaktion traf ihn wie ein Eimer Wasser ins Gesicht. Nur härter. Sie holte aus und gab ihm eine schallende Ohrfeige.
»Zwei Stunden, hast du gesagt«, zischte sie ihn wütend an und holte erneut aus. »Nur zwei Stunden, und du holst mich da raus.«
Ihr Atem dampfte.
Herzfeld rieb sich mit einer Hand die brennende Wange und hielt die andere Hand vors Gesicht, um weitere Schläge abzuwehren.
»Scheiße, ich wäre gestorben, wenn du dir noch länger Zeit gelassen hättest.«
»Es tut mir leid.«
»Ja, am Arsch.«
Sie ließ den Arm sinken, atmete schwer aus und nestelte eine Packung Zigaretten aus ihrer Jacke. Herzfeld beobachtete eine Weile ihre erfolglosen Versuche und formte ihr schließlich mit den Händen einen Windschutz, damit sie sich eine Zigarette anstecken konnte.
»Danke.« Sie musterte ihn und entschuldigte sich für die Ohrfeige. »Aber du hast sie verdient.«
Herzfeld nickte.
Vermutlich mehr als das.
Drei Suizide, eine bestialisch getötete Richterin, ein hingerichteter Sadist und seine vermutlich für den Rest ihres Lebens traumatisierte Tochter – hätte er damals auf Martinek gehört und die Beweise gefälscht, wäre
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