Abgezockt
Riesen. Josh streckte seine langen Beine weit aus, so dass seine Fersen im Sand schleiften. Kate ließ sich langsam hin- und herschwingen. Sie sahen ihrer Tochter beim Spielen zu, ohne ein Wort zu wechseln.
Die tiefstehende Sonne warf Schatten auf die schmalen Wege. Ein sanfter Wind rauschte in den Bäumen. Es klang fast wie Wellen an einem Strand.
Kate schüttelte sich vor Kälte. »Mich fröstelt. Wie spät ist es?«
Josh sah auf seine Uhr. »Kurz nach fünf.«
»Ich glaube, wir sollten langsam aufbrechen«, sagte Kate und rief Abby zu: »Noch fünf Minuten, Schatz.«
Abby und Wiener schauten vom unteren Ende der Rutsche in Kates Richtung. »Ach, Mom! Können wir nicht noch bleiben? Ich bin gar nicht müde oder so was«, quengelte Abby.
»Wir werden fünf Minuten darüber nachdenken und sagen dir dann Bescheid. Einverstanden?«, antwortete Josh.
Abby nickte freudig und lief zum Kletterhaus. Wiener sprang hinter ihr her.
»Warum der Aufschub?«, fragte Kate.
Josh wollte sprechen, aber er fand keine Worte.
Kate wandte sich mit der Schaukel ihm zu, so dass sich die Ketten über ihr verdrehten. »Komm, Josh, spuck’s aus. Du bist mit uns hierhergekommen und hast in der letzten Stunde keine zwei Wörter gesprochen. Ich rede, und du starrst nur Löcher in die Luft.«
Josh holte Atem und stieß einen Seufzer aus. Nach Bells gestrigem Besuch wusste er, es war besser, Kate reinen Wein einzuschenken, als dass Bell ihr alles erzählte. Er drehte sich zu Kate um. »Da ist etwas, das ich dir gern sagen möchte. Ich hätte es schon längst tun sollen. Es geht um etwas, das ich getan habe. Etwas, das sich jetzt wahrscheinlich rächt und das euch in Mitleidenschaft ziehen könnte.«
Über Kates Gesicht huschte ein Schatten von Furcht, und ihr heller, fröhlicher Blick verdüsterte sich. Er fragte sich, ob sie etwas ahnte. Konnte sie sich vorstellen, was er alles getan hatte? Wenn nicht, dann würde seine Beichte sie hart treffen. Wenn ja, was sagte das dann über sie beide aus? In jedem Fall machte es ihm seine Erklärung nur schwerer. Er knetete die Hände im Schoß und sah darauf hinab.
»Weißt du noch, als Abby nach der Geburt diese Nieren- und Leberinfektion hatte? Sie war lange im Krankenhaus, und du bist nicht von ihrer Seite gewichen. Du warst praktisch Tag und Nacht bei ihr.«
Eine Flut von Erinnerungen brach über ihn herein und erstickte seine Erklärungen. Noch einmal erlebte er jene furchterregenden Wochen, als er sein erstes Kind mit dem Tod hatte ringen sehen und selbst nichts zur Rettung beitragen konnte.
»Ja, natürlich erinnere ich mich daran«, antwortete Kate leise.
»Du musst verstehen, dass ich aus lauteren Motiven gehandelt habe und dich nicht aufregen wollte.«
Kate wand sich vor Unbehagen. »Josh, heraus mit der Sprache! Bitte.«
»Du hattest solche Angst um Abby. Ich weiß nicht, was ich getan hätte, wenn sie gestorben wäre.«
Kate ergriff sein Handgelenk. »Großer Gott, Josh, sag doch so was nicht. Denke nicht mal daran.«
Josh hörte auf zu schaukeln und starrte ihr in die Augen. »Aber ich habe es gesagt, und du leugne nicht, dass es dir genauso ging.«
Sie sah weg von ihm. »O Josh …«
»Es ist okay, das einzugestehen. Schau doch, heute ist sie gesund, und ihr fehlt nichts.« Er hob Kates Kinn an, damit sie ihm in die Augen blicken musste, und sah dann zu Abby.
Mit rotem Gesicht und herabhängendem Haar schaukelte das Mädchen kopfüber an einer Kletterstange und streichelte Wiener, der darunterstand. Das Kind bemerkte, dass seine Eltern es ansahen. »Sind meine fünf Minuten um?«
»Nein, noch nicht«, antwortete Josh.
»Cool!«
Er konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.
»Was hast du getan, Josh?«
Sein Lächeln verblasste. »Es wollte und wollte ihr nicht bessergehen, und die Arztrechnungen stapelten sich. Die Versicherung war bis zum Maximum ausgeschöpft, und die öffentliche Krankenkasse konnte uns nicht helfen.«
»Josh, du hast damals gesagt, die Versicherung würde alles decken.«
»Das war nicht die Wahrheit.«
»Was hast du getan?«, wiederholte Kate.
»Ich höre ihr Weinen heute noch. Ich hielt es einfach nicht mehr aus. Es war, als wenn jemand mit Fingernägeln über eine Tafel fährt.« Er schauderte bei der Erinnerung an die vergangenen Zeiten, und seine Verzweiflung brach hervor. »Die Versicherung sagte, sie würde nicht weiter zahlen, und die Ärzte mussten angeblich noch weitere Therapien durchführen. Ich wusste nicht, wo das enden
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