Abgründe (German Edition)
wollte, dann musste er den Stress der letzten Tage loswerden.
Ethan wandte sich wieder Jillian zu und hustete überrascht. Sie hatte sich bis auf die schwarzen High Heels ausgezogen und zu ihm herum gedreht. Eine Rose zierte ihre rechte Brust. Scheinbar hatte sie sich in den letzten Tagen gleich mehrfach verschönern lassen. Oder in den letzten Wochen? Ethan wusste nicht, wie lange er sie nicht mehr besucht hatte, aber das war ihm auch schlagartig egal. Er griff an seine Hose und löste die Handschellen vom Gürtel. Dann trat er auf Jilly zu. Bei allem, was von nun an geschah, ging ihm ein Gedanke nicht aus dem Kopf: Wenn Father Evans wüsste, was er hier tat...
-17-
Rose stand vor dem verbeulten Spiegel der öffentlichen Toilette an der Interstate 64 und verwandelte sich langsam zurück zu Roxanna Johnsonn, der Mutter von vier bezaubernden Töchtern. Sie ließ das vom Lippenstift verfärbte Abschminktuch in den überquellenden Mülleimer fallen und betrachtete ihre Metamorphose im Spiegel, während sie die künstlichen Wimpern löste.
Sean, ihr Mann zu Hause in Pecan Gardens wusste nichts von ihrem Doppelleben. Er glaubte, sie sei bei ihrer kranken Mutter drüben in Hampton Downtown. Ursprünglich war sie das auch gewesen. Jede Woche, von Samstagabend bis Montagabend, weil Sean an diesen Tagen frei hatte und sich um die Kinder kümmern konnte. Doch dann war ihre Mutter eines Abends verstorben war, während Roxanna an ihrem Bett saß.
Roxanna hatte ihrem Mann nie davon erzählt. Sie brauchte einfach die Freiheit, sich samstags abends ins Auto setzen zu können und die knapp sechsundzwanzig Meilen nach Hampton zu fahren. Anfangs hatte sie noch genug mit der Beerdigung ihrer Mutter und der Nachlassverwaltung zu tun gehabt, aber irgendwann war sie nur noch nach Hampton gefahren, um ihrem Alltag zu entfliehen. Bis sie eines Abends in einer Bar Lance Reese begegnet, einem charmanten Geschäftsmann in den Vierzigern. Die beiden hatten sich sofort ineinander verliebt und seitdem führte Roxanna an ihren freien Tagen ein luxuriöses Leben als Rose, Reeses verwöhnte Geliebte. Für den Rest der Woche blieb sie Roxanna, die sich um die Hausarbeit und die Kinder kümmerte und den Samstagabend herbeisehnte.
Roxanna ließ die Wimpern zu dem Rest des langen Wochenendes in den Mülleimer fallen. Sie bürstete ihr Haar und band es zu einem Knoten zusammen. Dann hob sie ihre Reisetasche vom Boden auf und verschwand damit in einer der Toilettenkabinen. Sie wollte noch schnell aus dem Cocktailkleid in ihren praktischen Jogginganzug schlüpfen und sich dann auf den letzten fünf Meilen nach Hause endgültig zurück verwandeln.
-18-
Ethan war nervös. Da er Dates bisher immer ziemlich entspannt gegenüber gestanden hatte, verunsicherte ihn dieser Umstand noch mehr. Er lehnte an seinem G6 und schaute herüber zum South Easy, aus dem Evangeline hoffentlich bald kommen würde.
Unterwegs hatte er noch schnell einen Strauß Rosen gekauft. Vor zwanzig Minuten, als er sich auf den Weg gemacht hatte, schienen Rosen noch das perfekte Geschenk für Evangeline zu sein, doch ungefähr eine Meile vor seinem Ziel war er schließlich rechts ran gefahren und hatte die Blumen im Kofferraum verschwinden lassen. Für eine Frau wie sie musste es etwas Besonderes sein und weil er nicht besonders kreativ war, wartete Ethan jetzt also ohne Geschenk. Er wusste nicht, wohin mit seinen Händen und wünschte sich, er hätte das Rauchen nicht aufgegeben. Sich an einer Zigarette festzuhalten, beruhigte nicht nur, es ließ einen auch noch extrem gelassen aussehen. Aber Zigaretten hatten den Nachteil, dass man sie anzünden musste. Seit Madisons „Unfall“ war dies ein unüberwindbares Hindernis für ihn. Aus ihm würde nie ein großer Romantiker mit einer Vorliebe für Candle-Light-Dinner werden. Hoffentlich störte das Evangeline nicht.
Zum hundertsten Mal während der letzten fünf Minuten sah Ethan auf die Uhr, als sich endlich die Tür öffnete und Evangeline heraus kam. Er löste sich vom Auto und trat auf sie zu. Sie sah hinreißend aus in ihren schwarzen Jeans, dem dunkelroten Top und den ebenfalls roten High Heels. Sie kam näher und lächelte.
»Detective. Einen schönen Wagen haben sie da. Ein G6? Ich liebe Pontiacs.« Sie ging um das Auto herum und betrachtete es begeistert, ohne Ethan weiter zu beachten.
»Ja, er ist…« Ethan wusste nicht, was er sagen sollte. »Du interessierst dich für Autos?«
»Ein wenig.« Evangeline
Weitere Kostenlose Bücher