Abgründe (German Edition)
haben, das er voll und ganz schön fand. Etwas, das perfekt für ihn war.
Wilbur Birch war nichts als ein großer Trottel gewesen, der wahrscheinlich als Kind gerne die Kleider seiner Mutter getragen hatte und dabei erwischt worden war oder etwas ähnlich Absonderliches. Ein Wichtigtuer, der vor Jahren erfolglos versucht hatte, seiner Obsession etwas Leben zu verleihen und sich die letzten Wochen seines Lebens in einem Spielzeugladen verschanzt hatte. Gott, es war so einfach gewesen, ihn zu erledigen. Ähnlich wie sein zweites Opfer, das schon eine ganze Weile unter der Erde war, hatte er ihn einfach erschlagen. Die rohe Gewalt war so ungewohnt für ihn, dass er jetzt einen leichten Muskelkater in den Armen spürte. Er musste grinsen. Vielleicht hätte er es etwas ruhiger angehen lassen sollen. Aber Detroit war nun mal ein hartes Pflaster und wenn er gut in etwas war, dann darin, sich anzupassen.
Trotzdem war er froh, dass er dem kühlen Michigan jetzt den Rücken zukehren konnte, um in sein eigentliches Revier, das heiße Virginia Beach, zurückzukehren. Seine nächste Freundin wartete bereits darauf, Teil seines Werkes zu werden.
Er hatte sich in einem Detroiter Baumarkt neue Werkzeuge besorgt, mit denen er ganz neue Dinge würde ausprobieren können. Mit den Utensilien, die er jetzt besaß, konnte er das nachholen, was bei Birch keinen Sinn gemacht hätte und zu dem er bei Claire nicht gekommen war.
Er dachte zurück an den Moment, als ihm bewusst geworden war, dass er sie erdrosselt hatte. Im Wald, wo sie ihm fast entkommen war, hatte er Blut geleckt. Zu spüren, wie sie langsam das Bewusstsein verlor, während er die Schlinge enger und enger zog, fühlte sich großartig an. Eigentlich wollte er dieses Gefühl nur wiederholen, in seinem Versteck, wo er seine Ruhe hatte, doch er überschätzte seine eigene Selbstbeherrschung. Es war wie ein Rausch, ihren Hals langsam zu zerquetschen. Für ein paar Sekunden hatte er die Kontrolle verloren. Es machte wenig Spaß, noch etwas mit ihnen anzustellen, wenn sie schon tot waren. Tot und nutzlos. Dennoch bereute er es zutiefst, Claires dunkle Seite nicht der Öffentlichkeit präsentieren zu können.
Egal, Claire war Vergangenheit und er würde sich einen solchen Fehler nicht noch einmal erlauben. Schließlich war er ein Meister seines Fachs, mit einer klaren Handschrift – und Schreibfehler ließen sich nicht so einfach ausmerzen wie auf Papier.
Verstohlen tastete er nach dem Multifunktionsmesser in seiner Hosentasche. Es hatte neben der üblichen Klinge einen Korkenzieher, eine kleine Schere, eine Pinzette und eine Lupe. Ein wenig ärgerte er sich darüber, dass er kein noch Effektiveres gefunden hatte. Die Lupe würde er nämlich kaum gebrauchen können.
Er liebte die ausgefeilten Methoden, die er mittlerweile entwickelt hatte, um seine Opfer zu den Geständnissen zu bringen, die er brauchte, um sie nach ihrem Tod gebührend darstellen zu können.
Selbstzufrieden lenkte er seinen Wagen in Richtung Heimat. Jetzt, wo Birch tot war, würde sich wenigstens niemand mehr unrechtmäßig in seinem Ruhm sonnen.
-71-
Hier unten am Strand war Virginia Beach trotz des Killers noch immer die perfekte Urlaubskulisse für die amerikanische Durchschnittsfamilie. Zu Ethans Überraschung herrschte hier im Gegensatz zum Rest der Stadt eine fast schon trotzig anmutende Sorglosigkeit. Kleine Kinder aßen Eis, Hundebesitzer warfen Frisbeescheiben und ein Stück südlich fand ein kleines Beachvolleyball-Turnier statt.
Er hatte seinen G6 etwas abseits geparkt, schlenderte herunter zum Wasser und gab sich alle Mühe, nicht wie ein paranoider Cop auszusehen. Er sah sich nach Evangeline um, konnte sie jedoch nirgends entdecken – weder auf einem Handtuch noch auf einer Liege oder an einer der Strandbars. Als er unten am Wasser ankam, blieb er stehen und nahm sein Handy aus der Tasche.
»Hey, Ethan!«
Verwirrt sah er auf. Die Stimme kam aus dem Wasser und wurde vom Wind an sein Ohr getragen. Er musste einen Moment lang suchen, dann erblickte er Evangeline, die zu seiner Überraschung auf einem pink und gelb gemusterten Surfbrett stand und sich übers Wasser tragen ließ. Lachend winkte sie ihm zu. Sie machte beim Surfen eine genauso elegante Figur wie sonst. Ihr schlanker Körper war selbst in dem Neoprenanzug, den sie jetzt trug, noch sexy und wie sicher sie auf ihrem Brett stand, beeindruckte ihn.
Er selbst hatte es genau einmal mit dem Surfen versucht, mit einer seiner
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