Abgründe (German Edition)
hatte ihr eine Chance gegeben und sie hatte diese Chance genutzt. Ames sah keinen Grund, sich ihrer zu entledigen. Vielleicht würde sie eines Tages noch einmal nützlich sein. Man konnte ja nie wissen.
-77-
Das Motel, in dem Cara-Mia lebte, war ein einstöckiger, hufeisenförmiger Bau mit einem riesigen Parkplatz davor. Es war einst in hellen Pastelltönen angestrichen worden, doch Abgase hatten die Fassade dunkel gefärbt und die kalten Winter die Farbe abplatzen lassen. Trotzdem erweckte es für ein Motel noch einen einigermaßen gepflegten Eindruck.
Ethan kannte es nur zu gut. Er kannte Cara-Mias Zimmernummer, er kannte die Einrichtung, den Geruch nach Schimmel, Parfüm und Desinfektionsmittel und vor allen Dingen kannte er das quietschende Bett.
Da er sie am Straßenstrich an ihrem Stammplatz nicht vorgefunden hatte, hoffte er, dass sie hier war und nicht mit irgendeinem Kunden unterwegs. Er würde erst einmal in aller Ruhe mit ihr sprechen und ein bisschen Vertrauen aufbauen, falls das nach ihrer Verhaftung noch möglich war. Vielleicht hatte sie eine plausible Erklärung für all die merkwürdigen Zufälle. Er parkte seinen Wagen und trat hinaus auf den vom Sonnenlicht erwärmten Asphalt.
Delilah alias Cara-Mia bewohnte das Zimmer mit der Nummer Neunundsechzig, eine Tatsache, die sie immer wieder zu komisch fand. Er schlenderte herüber zu der kleinen Treppe, die hinauf zu ihrem Zimmer führte, nahm die fünf Stufen mit zwei großen Schritten und klopfte an.
Keine Antwort.
Er wartete, dann klopfte er erneut, diesmal mit Nachdruck. Keine Menschenseele war weit und breit zu sehen, trotzdem entschied Ethan sich für die offizielle Version. Man konnte nie wissen, wer sich gerade im Nachbarzimmer vergnügte.
»Miss Linney? Hier ist die Polizei. Bitte öffnen Sie die Tür!«
Keine Reaktion.
Ethan blickte zum Fenster. Die Vorhänge waren zugezogen. Wenn sie schlief, dann hoffentlich allein. Er klopfte erneut und wartete. Als wieder keine Antwort kam zog er seine Dienstwaffe, entsicherte sie, postierte sich seitlich von der Tür und drückte vorsichtig die Klinke herunter.
Sollte Delilah Linney für die Morde verantwortlich sein, war sie klüger als er geglaubt hatte und lauerte womöglich drinnen. Es konnte eine Falle sein und Ethan hatte nicht vor, sich noch einmal so zu verhalten, wie es die Bestie erwartete.
Die Tür war nicht verschlossen. Ethan ließ sie aufschwingen, stieß sich von der Wand ab und zielte blitzschnell auf die vermeintliche Mörderin, die ihn dort irgendwo erwarten mochte.
Was ihn tatsächlich erwartete, ließ seine heldenhafte Pose zu einer lächerlichen Farce werden: Cara-Mia lag nackt auf dem Bett, die Handgelenke mit Handschellen ans Bettgestell gefesselt. Sie trug eine Dienstmütze der Polizei und jemand hatte sie kunstvoll mit gelb-schwarzem Absperrband umwickelt, auf dem die Worte POLICE LINE – DO NOT CROSS prangten. Ihre Augen waren entfernt worden und geronnenes Blut klebte an den unzähligen Wunden, die ihr zweifellos die Resort City-Bestie zugefügt haben musste. An ihrer Kehle prangte eine tiefe Schnittwunde, die mit schwarzem Garn vernäht worden war. Das Laken unter ihr hatte sich tiefrot gefärbt. Der Mord an ihr konnte noch nicht lange her sein, denn ihr Körper schien sich noch nicht in der Leichenstarre zu befinden.
Ethan ließ die Waffe sinken und blickte erschüttert auf den leblosen, malträtierten Körper. Nahm das denn nie ein Ende? Er wankte einen Schritt ins Zimmer und fuhr erschrocken zusammen, als plötzlich sein Handy klingelte. Während er die Waffe sicherte, zog er es aus der Tasche.
Unbekannte Nummer.
Er nahm ab, kam jedoch nicht dazu, sich zu melden.
» Detective Hayes …«
Ethan erschauderte beim unnatürlichen Klang der offenbar verzerrten Stimme. Er musste nicht mehr hören, um zu wissen, wer dran war.
»Du verdammter Mistkerl!«
Ein metallisches Lachen erklang aus der Leitung. » Wer wird denn gleich so gemein werden? Hast du schon erkannt, welches kleine, dunkle Geheimnis sie hatte? «
Woher konnte der Kerl davon wissen? Wie lange hatte der Killer ihn schon im Auge? Ethan entsicherte seine Pistole wieder.
» Ich weiß, was Sie sich fragen, Hayes und ich will Ihnen die Frage beantworten: All diese Frauen verraten mir ihre düsteren Geheimnisse nur zu gern. Sie haben immer ein großes Redebedürfnis, nachdem ich sie ein wenig bearbeitet habe. «
»Du perverses Arschloch!« Ethan fand keine Worte, um seine Abscheu für diesen Mann
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