Abgründe
vertrauenswürdige Personen kennt. Wie bereits gesagt, halte ich es für vernünftig, die Summe zu streuen. Ich kann euch niedrige Zinsen garantieren, und null Tilgung im ersten Jahr. Und die Rendite teilen wir unter uns auf.«
Sverrir und Arnar fuhren im Taxi zurück ins Hotel und saßen noch bis spät in der Nacht in der Hotelbar zusammen, um das Angebot von Alain Sörensen zu überdenken. Carry-Trade-Geschäfte konnten erhebliche Profite erbringen. Von spontaner Abneigung gegenüber dem Angebot, das Sörensen ihnen unterbreitet hatte, konnte keine Rede sein, und sie waren sich einig, die Sache ernsthaft ins Auge zu fassen. Angeblich war ja der Kredit von Sörensens Bank ein Kredit wie jeder andere, und wieso sollten sie sich Gedanken darüber machen, woher das Geld stammte, auch wenn Sörensen fairerweise angedeutet hatte, dass es dubioser Herkunftwar. Aus Erfahrung wussten sie, dass sich isländische Unternehmer und andere Kunden der Bank ohne irgendwelche Bedenken Steueroasen und Briefkastenunternehmen zunutze machten.
»Es geht um ein ziemlich großes Ding«, sagte Arnar.
»Soweit ich sehe, könnte es aber hinhauen«, entgegnete Sverrir.
»Du kennst Sörensen ein bisschen?«
»Ja, wir stehen schon seit einiger Zeit in geschäftlicher Verbindung. Er hat mich oft nach der Lage in Island gefragt, und wie du gesehen hast, ist er hervorragend informiert.«
»Ja«, sagte Arnar grinsend.
Sie diskutierten das Angebot wieder und wieder, die negativen ebenso wie die positiven Aspekte. Die Bank, für die Alain Sörensen arbeitete, hatte einen guten Ruf und galt als überaus solide. Allerdings war die Herkunft des Geldes zweifelhaft. Immer wieder kamen sie auf diese beiden Punkte zurück.
»Sollten wir das nicht einfach in Angriff nehmen?«, fragte Sverrir schließlich. Es war schon spät in der Nacht, und außer ihnen befand sich niemand mehr in der Bar.
»Mir fällt Þorfinnur ein«, sagte Arnar. »Er hat zur gleichen Zeit wie ich in der Bank angefangen, und ich weiß, dass er auch vom großen Geld träumt.«
»Ja. Es ist sicher vernünftig, den Kredit zu streuen. Aber nicht zu weit, es darf nichts bekannt werden.«
»Nein, das muss selbstverständlich ganz unter uns bleiben«, sagte Arnar. »Wenn wir uns darauf einlassen, sollte niemand etwas davon erfahren. Niemand darf etwas wissen.«
»Aber nicht, weil es sich um kriminelle Aktivitäten handelt«, sagte Sverrir.
»Es vereinfacht die Sache aber, wenn wir uns aus dem Radarbereich heraushalten.«
»Keine schlechten Zahlen«, sagte Sverrir, der das Blatt von Sörensen in der Hand hielt.
»Unglaublich, diese Zinsen«, sagte Arnar und grinste wieder. »Für Leute, die Geld haben.«
*
Knútur saß bei Sigurður Óli im Büro und hatte ihm geschildert, wie der Deal mit Alain Sörensen seinen Anfang genommen hatte. Finnur war ebenfalls anwesend. Knútur war mit Sigurður Óli zum Hauptdezernat gefahren, hatte aber keinen Rechtsanwalt hinzuziehen wollen. »Vielleicht später«, sagte er niedergeschlagen. »Ich will einfach nur erzählen, wie es war.« Sigurður Óli hatte Finnur telefonisch über die wichtigsten Fakten informiert. Gleich am nächsten Morgen würde der Fall an die Kollegen von der Abteilung für Wirtschaftskriminalität weitergeleitet werden. Knútur hatte seiner Frau unter Tränen zu erklären versucht, wieso an diesem ganz normalen Herbstabend ein Kriminalbeamter bei ihnen zu Hause aufgetaucht war. Sigurður Óli hatte währenddessen den Raum verlassen, aber darauf geachtet, dass die Tür offen blieb. Zehn Minuten später kamen die beiden zusammen mit dem Jungen heraus. Die junge Frau ging sofort mit ernster Miene zum Angriff auf Sigurður Óli über.
»Hätte das nicht anders geschehen können?«, zischte sie. Ihre freundliche Miene war wie weggeblasen.
»Danach solltest du vielleicht Knútur fragen«, hatte Sigurður Óli ruhig geantwortet.
Der saß nun vor ihnen und hatte ihnen über die Anfänge der Finanzgeschäfte mit dem Bankmanager aus Luxemburg berichtet. Sverrir und Arnar waren entschlossen gewesen, Sörensens Angebot anzunehmen, und zwar eigentlich schon an dem Abend, an dem er es ihnen unterbreitet hatte. Beide waren ganz normale Gehaltsempfänger bei der Bank, die zwar nicht schlecht verdienten, aber auch nicht mehr. Wie die anderen Bankangestellten besaßen sie ein paar Aktien, aber ansonsten waren sie nicht am Marktgeschehen beteiligt, wie es so schön hieß. Sie hatten keinen Anspruch auf Optionsverträge wie die
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