Abgründe
Schwedisch-französisches Elternhaus, aufgewachsen in Schweden, ausgebildet in Frankreich. Hobbys Fahrradfahren und Reisen. Wahrscheinlich ist er deswegen das Risiko eingegangen, nach Island zu kommen und sich mit euch zu treffen, weil er so gern reist.«
Immer noch schwieg Knútur. Er hob die Namensliste hoch und starrte sie an.
»Wir beabsichtigen, ihm in Luxemburg einen Besuch abzustatten«, sagte Sigurður Óli.
Allem Anschein nach stand Knútur kurz davor, die Nerven zu verlieren. Er hatte keine Antworten auf die Fragen parat, die Sigurður Óli ihm stellte.
»Es könnte problematisch sein, wenn es um größere Betrügereien geht«, sagte Sigurður Óli. »Und wir wissen vermutlich höchstens die Hälfte darüber, wie …«
Knútur traute sich anscheinend nicht, von dem Blatt Papier hochzuschauen.
»… wie Lína euch in die Quere gekommen ist.«
Knúturs Frau öffnete die Tür und unterbrach das Gespräch. »Möchtet ihr nicht einen Kaffee, ihr beiden?«
Knútur blickte hoch. Seine Frau sah sofort, dass etwas nicht stimmte.
»Was ist?«, fragte sie besorgt.
Knúturs Augen füllten sich mit Tränen.
»Was ist passiert?«, fragte sie. »Was ist los?«
Sie ging zu ihrem Mann, der versuchte, die Tränen zurückzudrängen. Er schlang seine Arme so fest um seine Frau, als sei sie der letzte Halt in seinem Leben.
»Was ist?«, fragte sie noch einmal und sah Sigurður Óli fragend an. »Was ist denn, Liebling? Ist jemand gestorben?«
Knútur vergrub sich in der Umarmung seiner Frau. Sie sah Sigurður Óli mit verwunderter und besorgter Miene an.
»Was geht hier vor, Knútur? Wer ist dieser Mann?«
Sie ließ ihren Mann los und blickte ihm in die Augen.
»Oh Gott«, sagte Knútur.
»Was ist?«
»Ich halte das nicht mehr aus«, sagte Knútur.
Die Frau wandte sich Sigurður Óli zu. »Wer bist du?«, fragte sie.
Sigurður Óli sah Knútur an. Er hatte nur vorgehabt, ihn ein wenig unter Druck zu setzen, mit so einer vehementen Reaktion hatte er nicht gerechnet. Knútur schien am Rande eines Abgrunds zu stehen.
»Ich bin von der Kriminalpolizei«, antwortete Sigurður Óli. »Du kannst ihn zum Hauptdezernat begleiten, wenn du möchtest. Ich glaube, er muss mit mir kommen. Und ich gehe davon aus, dass er auch über Nacht dort bleiben wird.«
Sie starrte Sigurður Óli an, als würde sie nicht verstehen, was er sagte. Sie verstand die Worte, aber sie konnte sie nicht in die ihr bekannte Welt einordnen. Die Bedeutung überstieg ihr Vorstellungsvermögen. Sigurður Óli sah ihr das an und hoffte, Knútur würde ihm zu Hilfe kommen. Seine Miene blieb reglos.
»Was meint er damit, Knútur?«, fragte die Frau. »Antworte mir. Antworte mir, Knútur! Sag doch etwas!«
Ihr Sohn erschien jetzt in der Tür zum Büro und sah Sigurður Óli genauso misstrauisch an wie zuvor.
»Sag endlich etwas«, schrie die Frau Knútur an. »Steh doch nicht rum wie ein Ölgötze! Stimmt das, was dieser Mann sagt?«
»Mama«, sagte der Junge in der Tür.
Die Frau hörte das Kind gar nicht. »Weswegen? Was hast du dir zuschulden kommen lassen?«
Knútur sah seine Frau schweigend an.
»Was hast du dir zuschulden kommen lassen?«, wiederholte sie.
»Der Kleine will euch etwas sagen«, warf Sigurður Óli ein. »Euer Sohn.«
»Mama!«, sagte der Junge. »Mama!«
Endlich wandte sich die Mutter ihm zu.
»Was ist denn, mein Junge?«
Der Junge sah immer noch misstrauisch zu Sigurður Óli hinüber. Er hatte ihnen den schönen Abend verdorben.
»Kuchen fertig.«
Siebenundvierzig
Sie übernachteten damals auf Kosten der Bank in einem feudalen Hotel ganz in der Nähe des Piccadilly. Die Zimmer waren riesengroß, richtige Suiten mit jeweils separatem Büro und zwei Badezimmern. Alles, was sie im Hotel bestellten, wurde über die Bank abgerechnet. Alles, was sie unternahmen, ging auf Rechnung der Bank. Sogar die Theaterbesuche. Sverrir hatte sich unbedingt The Mouse Trap ansehen wollen, und auch ein anderes Theaterstück mit einer berühmten amerikanischen Schauspielerin, das im Westend gezeigt wurde. Sverrir ging gern ins Theater. Sie aßen in den teuersten asiatischen Restaurants, denn sowohl Sverrir als auch Arnar hielten englisches Essen für ungenießbar. Mr Chow war ihr Favorit, ein China-Restaurant in der Nähe von Harrods. Sie gingen meistens dorthin, wenn sie im Auftrag der Bank in London waren, und sie überließen es immer den Kellnern, das Menü für sie zusammenzustellen.
Auf den beiden wichtigen Konferenzen, an
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