Abgründe
als interessiere er sich nicht für Sigurður Ólis Fragen. Er hatte die Beine übereinandergeschlagen und mit dem freien Bein gewippt, hörte aber bei dieser Frage schlagartig damit auf, setzte sich auf und lehnte sich vor.
»Mit dem Sexleben?«, fragte er.
»Euer Sex mit anderen Paaren«, sagte Sigurður Óli.
Ebeneser sah ihn lange an. »Was … Du machst wohl Witze?«
»Nein«, sagte Sigurður Óli.
»Sex mit anderen Paaren?«
»Dann muss ich mich wohl deutlicher ausdrücken: Glaubst du, dass deine und Línas sexuelle Spielchen mit Unbekannten etwas mit dem Überfall auf deine Frau zu tun haben?«
Ebeneser starrte ihn wie vom Donner gerührt an. »Keine Ahnung, worüber du redest«, sagte er.
»Nein, natürlich nicht«, sagte Sigurður Óli. »Du hast natürlich auch nie etwas von ›Schnitzelpartys‹ gehört?«
Ebeneser schüttelte den Kopf.
»Wobei ›Schnitzelparty‹ ein anderes Wort für Swinger-Party ist?«
»Nie gehört«, sagte Ebeneser.
»Und du und deine Lína, ihr habt noch nie Partnertausch gemacht?«
»Das ist eine Unverschämtheit«, erklärte Ebeneser. »So was haben wir nie gemacht. Worauf willst du eigentlich hinaus?«
»Ich mach dir einen Vorschlag«, sagte Sigurður Óli. »Du überlässt mir die Aufnahmen, die ihr beide von euch beim Geschlechtsverkehr mit anderen gemachthabt, und ich werde so tun, als hätte ich nie etwas davon gehört.«
Ebeneser gab ihm keine Antwort darauf.
»Mit anderen«, murmelte Sigurður Óli, dem plötzlich etwas einfiel. »Ich frage mich gerade, wie viele da betroffen sind? Ich weiß nur von einem Ehepaar, aber ihr erpresst wahrscheinlich jede Menge Leute?«
Ebeneser starrte ihn an.
»Jemand hat die Schnauze voll von euren Spielchen und wollte euch mit dem Geldeintreiber einen Schreck einjagen. Geht es darum, Ebbi?«
Ebeneser war entschlossen, sich das nicht länger bieten zu lassen. Er stand auf.
»Ich habe keine Ahnung, wovon du redest«, sagte er und marschierte zur Tür hinaus Richtung Línas Zimmer.
Sigurður Óli sah ihm hinterher. Ebeneser würde wohl etwas Zeit brauchen, um zu realisieren, was Sigurður Óli wusste, und um über sein Angebot nachzudenken. Sigurður Óli musste innerlich grinsen. Trotz seiner nicht unbeträchtlichen Erfahrung bei der Kriminalpolizei konnte er sich auf die Schnelle nicht erinnern, jemals einem Menschen begegnet zu sein, dem die Lügen so leicht über die Lippen gegangen waren wie Ebbi – oder der ein besseres Händchen dafür gehabt hätte, sich in Schwierigkeiten zu bringen.
Zehn
Bergþóra wartete bereits auf ihn, denn Sigurður Óli hatte sich ein paar Minuten verspätet. Sie saß an ihrem Tisch und studierte die Speisekarte, als er eintraf. Sie hatte sich für ein italienisches Restaurant in der Innenstadt entschieden. Er hatte den ganzen Tag damit verbracht, Elínborg zu helfen. Sie leitete die Ermittlungen im Fall des Mordes im Þingholt-Viertel. Sigurður Óli war von der Arbeit direkt zum Restaurant gefahren. Eigentlich hatte er vorgehabt, zuerst zu Hause zu duschen und sich umzuziehen, aber dazu war die Zeit zu knapp gewesen. Er freute sich auf das Essen, aber bei dem Gedanken an das Wiedersehen mit Bergþóra war ihm etwas mulmig zumute.
Er küsste sie auf den Mund und setzte sich. Bergþóra sah abgekämpft aus. Sie war Teilhaberin in einem Software-Unternehmen, das schwierige Zeiten durchmachte, und sie musste viel Zeit und Einsatz investieren. Auch ihre Trennung hatte sie mitgenommen, und nicht zuletzt die Tatsache, dass sie keine Kinder bekommen konnte. Die vergangenen Monate und Jahre waren schwierig für sie gewesen.
»Gut schaust du aus«, sagte sie zu Sigurður Óli, als er sich gesetzt hatte.
»Und wie geht’s dir?«, fragte er.
»Ganz gut. Irgendwie kommt es mir bei so einer Verabredung im Restaurant so vor, als würden wir wieder von vorne anfangen. Für mich ist das gewöhnungsbedürftig. Du hättest doch auch zu mir nach Hause kommen können, ich hätte etwas für uns gekocht.«
»Ja, es ist ein bisschen so wie in alten Tagen«, entgegnete Sigurður Óli.
Sie vertieften sich in die Speisekarte. Es war keineswegs so wie in den alten Tagen, und das spürten sie beide. Auf ihnen lastete eine kaputte Beziehung, Jahre, die für die Katz gewesen waren, und Gefühle, die sich in Luft aufgelöst hatten – miteinander verwobene Lebensfäden, die sich entflochten hatten. Irgendwie erinnerten sie an müde Konkursverwalter, denen es nur noch darum ging, noch offenstehende Fragen zu
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