Abgründe
bekommen sollen, und damit basta?«
»Ja, das war keine komplizierte Aktion. Diese Leute sind nicht kompliziert, die sind bloß total durchgeknallt.«
»Du hattest aber nicht vor zu zahlen?«
»Du solltest das doch in Ordnung bringen«, sagte Hermann. »Hast du irgendwelche Aufnahmen bei ihnen gefunden?«
Sigurður Óli hatte zwar tatsächlich unauffällig danach gesucht, aber wegen der anwesenden Kollegen nicht so gezielt vorgehen können, wie er es gewollt hätte. Gefunden hatte er nichts, nicht einmal die Kamera.
»Ihr wart bei ihnen zu Hause, als diese Aufnahmen gemacht wurden?«
»Ja. Das ist ungefähr zwei Jahre her.«
»Und ihr seid nur einmal dort gewesen?«
»Nein, zweimal.«
»Und erst nach dieser langen Zeit versuchen sie euch zu erpressen?«
»Ja.«
»Weil deine Frau inzwischen sozusagen eine öffentliche Person ist und politische Karriere machen will?«
»Das ist die einzige Erklärung.«
»Super«, sagte Sigurður Óli. »Ihr seid wirklich eine super Truppe.«
Ebeneser saß am Bett seiner Frau, als Sigurður Óli auf der Intensivstation eintraf, um mit ihm zu sprechen. Finnur, der die Ermittlung leitete, hatte ihm gesagt, dass das Gespräch mit Ebeneser noch fortgesetzt werden müsse, woraufhin Sigurður Óli ihm anbot, das zu übernehmen. Damit war Finnur einverstanden gewesen, er hatte ohnehin alle Hände voll zu tun.
Ebeneser war mittelgroß, schlank und machte einen agilen Eindruck. Die Bartstoppeln in seinem wettergegerbten Gesicht waren einige Tage alt, er trug Wanderschuhe mit dicken Profilsohlen, wie es sich für einen zünftigen isländischen Hochland-Reiseleiter gehört. Er stand auf, als Sigurður Óli das Krankenzimmer betrat,und begrüßte ihn mit Handschlag, vermied aber jeden Blickkontakt. Lína war an alle möglichen technischen Geräte und verschiedene Infusionen angeschlossen, ihr Kopf war dick bandagiert. Sie waren wohl beide um die dreißig, wahrscheinlich zehn Jahre jünger als Hermann und seine Frau, und waren vermutlich ein attraktives Paar, obwohl Sigurður Óli das im Fall von Lína im Augenblick kaum richtig einschätzen konnte. War es vielleicht der Altersunterschied gewesen, der Hermann und seine Frau gereizt hatte?
»Musst du sofort wieder los?«, fragte Sigurður Óli, als er Ebenesers Schuhe betrachtete. Sie hatten sich im Aufenthaltsraum zusammengesetzt, und er war eigentlich fest entschlossen gewesen, angesichts der schwierigen Situation verständnisvoll und mitfühlend aufzutreten, auch wenn er sich keineswegs sicher war, ob Lína und Ebbi das verdient hatten.
»Was? Ach, die Schuhe? Nein, im Augenblick nicht. Ich finde sie einfach bequem, auch in der Stadt.«
»Man hat uns bestätigt, dass du auf dem Rückweg von Landmannalaugar warst, als deine Frau überfallen wurde«, sagte Sigurður Óli.
»Ich finde es sehr merkwürdig, dass ihr glaubt, ich könnte das getan haben«, sagte Ebeneser.
»Merkwürdig gibt es für uns nicht. Seid ihr stark verschuldet, du und deine Frau?«
»Wie alle normalen Leute. Und sie ist so gesehen nicht meine Frau, wir leben nur zusammen.«
»Kinder?«
»Nein.«
»Habt ihr vielleicht Schulden bei Leuten gemacht, die imstande wären, sich ihr Geld auf brutale Weisezurückzuholen? Beispielsweise durch einen Geldeintreiber?«
»Nein«, sagte Ebeneser.
»Seid ihr möglicherweise knapp bei Kasse?«
»Nein.«
»Du hast nie zuvor mit Geldeintreibern zu tun gehabt?«
»Nein, solche Typen kenne ich nicht, und ich kenne auch niemanden, der derartige Kontakte hat. Ich dachte, es wäre ein ganz normaler Einbrecher gewesen?«
»Wurde etwas gestohlen?«
»Soweit ich weiß, ist er von einem Bullen überrascht worden.«
»Ich hab noch nie von einem Einbrecher gehört, der die Wohnung, die er ausrauben will, zuerst mal demoliert und als Nächstes mit einem Baseballschläger auf den Hausbesitzer losgeht«, sagte Sigurður Óli. »Mag sein, dass so etwas mal irgendwo und irgendwann passiert ist, aber mir ist das noch nicht untergekommen.«
Ebeneser schwieg.
»Hat jemand davon gewusst, dass du gestern Abend nicht zu Hause sein würdest?«
»Ja, jede Menge Leute. Aber lauter Leute, die ich gut kenne und die so etwas niemals tun würden, wenn du das meinst.«
»Ihr seid also nicht in Geldschwierigkeiten?«
»Nein.«
»Ganz bestimmt nicht?«
»Ja, davon müsste ich ja schließlich wissen.«
»Und wie steht’s mit dem Sexleben, ist da alles in Ordnung?«
Ebeneser hatte ihm im Aufenthaltsraum gegenübergesessen und so getan,
Weitere Kostenlose Bücher