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Abgründe

Abgründe

Titel: Abgründe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indriðason
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nannte, sich bereit erklärt hatte, sie nach Kräften zu unterstützen. In den ersten Jahrennach der Trennung wohnte sie zur Miete, hatte aber ein Händchen dafür, sich mit ihren Vermietern anzulegen, sodass sie ständig umziehen mussten. Sie hatte es einfach ignoriert, wenn Sigurður Óli sich beklagte, dass er immer wieder die Schule wechseln musste. Sie konnte sich auch maßlos über die Schulleitung und einzelne Lehrer aufregen, was schließlich dazu führte, dass sein Vater es übernahm, sich um diese Angelegenheiten zu kümmern.
    Sie hatte den Handelsschulabschluss gemacht und arbeitete als Buchhalterin, als Sigurður Óli auf die Welt kam. Danach absolvierte sie ein Studium der Betriebswissenschaftslehre und arbeitete sich zunächst etliche Jahre in einer kleinen isländischen Wirtschaftsprüferkanzlei hoch. Als diese Kanzlei von einem riesigen ausländischen Unternehmen für Wirtschaftsprüfung und Unternehmensberatung aufgekauft wurde, erhielt sie eine leitende Position.
    »Wo ist Sæmundur?«, fragte Sigurður Óli, während er den Wintermantel auszog, den er sich vor einem Jahr zugelegt hatte. Verdammt teuer war er gewesen, denn er stammte von einem der exklusivsten Herrenausstatter in Reykjavík. Als er mit dem Teil nach Hause gekommen war, hatte Bergþóra nur den Kopf geschüttelt und gesagt, er sei der größte Label-Snob, den sie kannte. Und wenn er auf seine Mutter zu sprechen kam und sie Gagga nannte, sagte sie manchmal »Ach, du meinst Ga-ga«.
    »Sæmundur ist in London«, sagte Gagga. »Da eröffnet mal wieder einer von diesen jungen Expansionswikingern eine Dependance, mit Staatspräsident und allem Pipapo. Und alle düsen in Privatjets nach London, das ist ja wohl das Mindeste.«
    »Aber die Leute haben Erfolg.«
    »Das ganze Geld ist doch nur geliehen. Sie sind alle total verschuldet, und irgendjemand muss am Ende dafür geradestehen.«
    »Ich find’s einfach super, wie weit die es gebracht haben«, sagte Sigurður Óli, der die steilen Karrieren von isländischen Geschäftsleuten in Island und im Ausland interessiert mitverfolgte. Er war begeistert von dem Elan und der Dynamik dieser Leute, nicht zuletzt, wenn sie so mir nichts, dir nichts alteingesessene dänische oder englische Unternehmen aufkauften.
    Sie setzten sich an den Esstisch. Seine Mutter hatte ein früheres Lieblingsgericht von ihm gekocht, Lasagne mit Thunfisch.
    »Möchtest du, dass ich es in der Mikrowelle aufwärme?«, fragte sie, und noch bevor er einen Ton sagen konnte, hatte sie ihm den Teller mit dem Essen weggenommen und in die Mikrowelle gestellt. Als das Klingelzeichen ertönte, setzte sie ihrem Sohn den Teller wieder vor. Sigurður Óli ging immer noch das kurze Gespräch mit Finnur durch den Kopf, worin er ihm mitgeteilt hatte, dass Sigurlína gestorben war. Finnur hatte ziemlich erregt geklungen, sogar wütend, und diese Wut richtete sich gegen ihn. Und was zum Teufel hattest du bei ihr zu suchen, Siggi? , hatte Finnur gefragt. Er fand es unerträglich, wenn er Siggi genannt wurde.
    »Hast du etwas von Bergþóra gehört?«, fragte seine Mutter.
    »Wir haben uns gestern getroffen.«
    »Ach ja? Wie geht es ihr?«
    »Sie hat gesagt, dass du sie nie gemocht hast.«
    Gagga schwieg. Sie hatte selber nichts von dem Essen angerührt, obwohl sie für zwei gedeckt hatte. Jetzt nahm sie den Löffel zur Hand, nahm sich eine Portion Lasagne, stand auf und stellte den Teller in die Mikrowelle. Sigurður Óli war immer noch sauer, weil er ihretwegen seine Zeit auf einen Briefkasten verschwendet hatte, und auch wegen des Anrufs zu später Nachtstunde, als sie ihn beim Football gestört hatte, aber vor allen wegen der Dinge, die er von Bergþóra erfahren hatte.
    »Warum sagt sie so etwas?«, fragte seine Mutter, während sie neben der Mikrowelle stand und auf das Klingelzeichen wartete.
    »Sie ist fest davon überzeugt.«
    »Gibt sie etwa mir die Schuld daran, wie es zwischen euch beiden gelaufen ist?«
    »Ich kann mich nicht erinnern, dass du darüber enttäuscht warst.«
    »Doch«, sagte seine Mutter, klang aber nicht sehr überzeugend.
    »Bergþóra hat noch nie mit mir darüber gesprochen. Ich hab darüber nachgedacht, und es stimmt eigentlich, du bist im Grunde genommen kaum je zu Besuch gekommen, und du selber hast von dir aus auch nie Verbindung mit Bergþóra aufgenommen. Bist du ihr nicht einfach aus dem Weg gegangen?«
    »Auf gar keinen Fall.«
    »Sie hat gestern sehr viel über dich gesprochen. Und sie war sehr offen,

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