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Abgründe

Abgründe

Titel: Abgründe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indriðason
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kenne, so durchtrieben sind sie meiner Meinung nach nicht. Ich war auf dem Weg zu Sigurlína, als der Überfall stattfand.«
    »Warst du dort?«
    »Ja. Diese Bekannten von mir baten mich darum, Lína oder euch beide von dem Erpressungsversuch abzubringen und mir die Aufnahmen auszuhändigen.«
    »Was? Kannst du …?« Ebeneser wusste anscheinend nicht, was er sagen sollte.
    »Weißt du, von welchen Leuten ich spreche?«
    Wieder schüttelte Ebeneser den Kopf.
    »Können wir vielleicht irgendwann später darüber sprechen?«, fragte er so leise, dass er kaum zu hören war. »Lína ist gerade erst gestorben.«
    »Meiner Meinung nach besteht die Möglichkeit«, fuhr Sigurður Óli unbeirrt fort, »dass der Täter in derselben Absicht gekommen ist wie ich. Verstehst du?«
    Ebeneser gab ihm keine Antwort darauf.
    »Er hatte genau dasselbe vor wie ich, nämlich zu versuchen, Lína von dieser Verrücktheit abzubringen, die sie oder ihr beide ausgeklügelt habt. Was meinst du, könnte das zutreffen?«
    »Ich wüsste nicht, was das sein könnte«, entgegnete Ebeneser.
    »Habt ihr versucht, Geld von Leuten zu erpressen?«
    »Nein.«
    »Wer hat gewusst, dass Lína allein zu Hause war?«
    »Niemand. Oder alle. Ich weiß es nicht, jeder hätte das wissen können. Ich habe keine Ahnung, ich führe nicht Buch über so etwas.«
    »Möchtest du nicht, dass der Fall aufgeklärt wird?«
    »Selbstverständlich! Was soll denn das? Natürlich will ich, dass er aufgeklärt wird.«
    »Wer droht euch, wer schreckt auch vor Gewalt nicht zurück, wer will euch an den Kragen?«
    »Niemand. Du bildest dir irgendwelchen Quatsch ein.«
    »Ich bin mir ziemlich sicher, dass Línas Tod nicht beabsichtigt war«, sagte Sigurður Óli. »Es war ein tragischer Unfall. Der Täter ist zu weit gegangen. Willst du uns nicht helfen, ihn zu finden?«
    »Was soll denn das, natürlich will ich das, aber können wir vielleicht später darüber reden? Ich muss jetzt nach Hause. Ich muss mit Línas Eltern sprechen. Ich muss …«
    Es hatte ganz den Anschein, als kämen ihm wieder die Tränen.
    »Ich brauche die Aufnahmen, Ebeneser«, sagte Sigurður Óli.
    »Ich muss jetzt gehen.«
    »Wo sind sie?«
    »Ich habe keine Zeit für so etwas.«
    »Ich weiß nur von diesem einen Ehepaar. Waren es vielleicht mehrere? Was für Leute waren hinter euch her? Was für ein Spiel habt ihr gespielt?«
    »Überhaupt keins. Lass mich in Ruhe«, sagte Ebeneser. »Lass mich gefälligst in Ruhe«, wiederholte er, während er dem Ausgang zustrebte.
    Als Sigurður Óli das Krankenhaus verließ, wurde ein Patient im Rollstuhl an ihm vorbeigeschoben, beide Hände in Gips und mit verbundenem Kiefer. Das eine Auge war dick verquollen, und der Verband an der Nase ließ darauf schließen, dass sie gebrochen war. Er erkannte ihn nicht auf Anhieb, aber beim zweiten Hinsehen stellte sich heraus, dass es der Junge war, dem er auf der Bank im Dezernat rundheraus erklärt hatte, was fürein verdammter Versager er war. Er erinnerte sich, dass der Junge Pétur hieß. Er blickte hoch, als sie sich begegneten. Sigurður Óli blieb stehen.
    »Was ist denn mit dir passiert?«
    Der Junge war nicht imstande, etwas zu sagen. Stattdessen antwortete die Frau, die den Rollstuhl schob. Sie erklärte, dass der Junge am Montagabend das Opfer eines brutalen Überfalls geworden war, und zwar ganz in der Nähe des Hauptdezernats an der Hverfisgata. Sie brachte ihn gerade ein weiteres Mal in die Röntgenabteilung.
    Ihr war nicht bekannt, ob die Übeltäter gefasst worden waren, die den Jungen so schlimm zugerichtet hatten. Pétur schwieg sich hartnäckig darüber aus, wer sie gewesen waren.

Vierzehn
    Kurze Zeit später näherte sich Sigurður Óli dem Hofeingang des Hauptdezernats an der Hverfisgata. Urplötzlich tauchte eine abgerissene und übelriechende Gestalt aus dem Schatten des Gebäudes auf und trat ihm in den Weg.
    »Ihr seid ja nie zu erreichen«, flüsterte der Mann mit einer seltsam heiseren und schwachen Stimme. Er packte Sigurður Óli beim Handgelenk.
    Sigurður Óli schreckte zusammen, fing sich aber gleich wieder und wurde ärgerlich. Für ihn war der Mann nichts anderes als ein Penner, und mit Leuten dieser Art hatte sich Sigurður Óli häufig genug befassen müssen. Irgendwie kam ihm dieser Mann zwar bekannt vor, aber er konnte sich nicht an den Namen erinnern, was er allerdings auch nicht der Mühe wert fand.
    »Was soll denn das, einen so zu überfallen«, schnaubte er und schlug auf den Arm, der

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