Abgründe
standen billige Dekorationsgegenstände. Wenn Þórarinn als Dealer gute Einkünfte hatte, ließ sich das nicht an seinem Zuhause ablesen. Das einzige Auto, das er besaß, war der Lieferwagen.
»Erinnerst du dich, was dein Mann am letzten Montag anhatte?«, fragte Sigurður Óli.
»Was er anhatte? Er hat immer dasselbe an.«
»Könntest du vielleicht seine Kleidung etwas genauer beschreiben?«
Die Frau sagte ihnen, wie er gekleidet gewesen war, und das passte zu dem, was Sigurður Óli gesehen hatte. Sie erkundigte sich, was Þórarinn verbrochen hatte.
»Wo war er am Montagabend?«, fragte Sigurður Óli, ohne auf ihre Frage einzugehen.
»Er war den ganzen Abend da«, erklärte die Frau ohne zu zögern. »Er ist am Montagabend nicht aus dem Haus gegangen«, fügte sie hinzu, falls Sigurður Óli sie nicht richtig verstanden haben sollte.
»Wir wissen, dass das nicht stimmt«, sagte er. »Er wurde nämlich anderswo gesehen, also kann er nicht zu Hause gewesen sein. Und zwar habe ich ihn gesehen. Wenn du uns weiter deine Lügen auftischen willst, kannst du das gerne machen, aber das Gespräch findet dann im Hauptdezernat statt. Das bedeutet, dass die Mädchen irgendwo anders untergebracht werden müssen. Wenn du niemanden kennst, der auf sie aufpassen kann, können wir versuchen, jemanden zu finden.«
Die Frau sah Sigurður Óli fragend an.
»Oder du sagst uns einfach, was wir wissen wollen, und dann kannst du dich wieder hinlegen«, fügte er hinzu.
Die Frau blickte ihre Töchter an. Die Älteste hatte Schwierigkeiten in der Schule, nicht nur beim Lernen,sondern sie weigerte sich auch, am Schwimm-und Turnunterricht teilzunehmen.
»Er sagt mir nie was«, meinte sie schließlich. »Ich weiß gar nichts.«
»Er war am Montagabend also nicht zu Hause?«
Die Frau schüttelte den Kopf.
»Er hat dir aber befohlen, das zu sagen?«
Sie zögerte einen Moment, nickte dann aber.
»Wo ist er jetzt?«
»Ich weiß es nicht. Was hat er getan? Ich hab ihn seit Montagabend nicht mehr gesehen. Er war kurz hier, aber ich hab kaum verstanden, wovon er redete. Angeblich musste er für eine Weile aus der Stadt verschwinden. Er wollte aber so bald wie möglich zurückkommen.«
»Was meinte er mit ›aus der Stadt‹? Wohin wollte er?«
»Das weiß ich nicht, wir besitzen kein Ferienhaus oder so etwas.«
»Hat er Verwandte auf dem Land?«
»Nein, das glaube ich jedenfalls nicht. Was hat er gemacht?«
Die drei Mädchen hatten verwundert zugehört, ihre Blicke irrten zwischen ihrer Mutter und den Polizisten hin und her. Sigurður Óli gab der Frau zu verstehen, dass es vielleicht nicht gut sei, wenn die drei alles mithörten. Sie reagierte umgehend, schob die Kinder vor sich her in die Küche und sagte der Ältesten, sie solle ihnen einen Malzkakao zu trinken geben.
»Wir glauben, dass er am Montagabend eine Frau überfallen hat«, sagte Sigurður Óli, als sie wieder aus der Küche kam. »Er wurde am Tatort gesehen.«
»War er bei einer anderen Frau?«
»Nein, das glaube ich nicht«, sagte Sigurður Óli. »Wir gehen nicht davon aus, dass es ein Überfall dieser Art war. Kannst du mir sagen, mit was für Leuten er in den Tagen, bevor er untergetaucht ist, Kontakt hatte?«
Sie hatten eine Liste über die Telefongespräche vom Festnetzanschluss angefordert. Möglich, dass dadurch Licht in die Angelegenheit gebracht werden konnte, aber Sigurður Óli war skeptisch. Nach Kristjáns Beschreibungen war dieser Þórarinn viel zu vorsichtig. Dafür sprach auch die Tatsache, dass kein Handy auf ihn registriert war, obwohl Kristján sicher war, dass er eins besaß.
»Ich weiß sehr wenig darüber, was Toggi immer so treibt«, erklärte seine Frau. »Er sagt mir nie etwas. Ich weiß nur, dass er als Lieferwagenfahrer unheimlich viel arbeitet, manchmal auch abends und nachts. Und jetzt ist er verschwunden.«
»Hat er seit dem Montag noch einmal Verbindung mit dir aufgenommen?«
»Nein«, sagte die Frau resolut. »Weshalb hat er diese Frau überfallen?«
»Das wissen wir nicht.«
»Ist das die Frau aus den Nachrichten, die gestorben ist?«
Sigurður Óli nickte.
»Glaubt ihr, dass Toggi das getan hat?!«
»Wusstest du, dass Þórarinn als Geldeintreiber arbeitet?«
»Geldeintreiber?«, fragte die Frau. »Nein. Wieso denkt ihr überhaupt, dass er etwas damit zu tun hat? Weshalb … Ich glaube es einfach nicht!«
Sie wussten, dass Þórarinn im Strafregister stand, aber die Einträge lagen lange zurück. Damals war seine
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