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Abgründe

Abgründe

Titel: Abgründe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indriðason
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in die Küche kommen würde.
    »Ich habe mich mit Bergþóra getroffen«, sagte er. »Wir sind jetzt endgültig im Reinen.«
    »Ach, und was bedeutet das?«
    »Es ist vorbei.«
    »War es nicht längst vorbei?«
    »Sie hat einen Neuen.«
    »Und du bist deswegen ziemlich down?«
    »Eigentlich ja.«
    »Du wirst schon eine andere finden. Sie hat also der Beziehung ein Ende gemacht?«
    »Ja. Sie ist wie gesagt eine neue Beziehung eingegangen.«
    »Das sieht ihr ähnlich«, sagte Gagga.
    »Was soll das heißen?«
    »Sie fackelt nicht lange.«
    »Du hast sie nie gemocht.«
    »Nein«, sagte seine Mutter. »Das stimmt wahrscheinlich. Und trauere du ihr bloß nicht nach, das ist völlig unangebracht.«
    »Wie kannst du so etwas sagen? Und du gibst es so einfach zu, dass du sie nicht gemocht hast?«
    »Soll ich dir lieber etwas vorlügen? Du warst viel zu gut für Bergþóra. Das ist meine Meinung, und ich denke gar nicht daran, damit hinter dem Berg zu halten.«
    Sigurður Óli starrte seine Mutter an. Eine Frage, über die er schon lange nachgedacht hatte, drängte sich ihm auf.
    »Was hast du in Papa gesehen?«
    Seine Mutter sah ihn an, als hätte sie die Frage nicht verstanden.
    »Weshalb habt ihr euch damals zusammengetan?«
    »Was soll das denn?«, entgegnete Gagga.
    »Ihr seid so verschieden«, sagte Sigurður Óli. »Das musst du doch auch gesehen haben. Und trotzdem … Was war da zwischen euch?«
    »Lassen wir das lieber.«
    »Hast du nicht mehr von eurer Beziehung profitiert als er?«
    »Ich? Profitiert?«
    »Er hat dich während des Studiums unterstützt.«
    »Mein Lieber! Die Menschen tun sich zusammen und trennen sich wieder, ohne dass es dafür besondere Gründe geben muss. So war es bei mir und deinem Vater. Der Fehler lag wahrscheinlich bei mir, das gebe ich gern zu. Und jetzt hör auf damit.«
    Er machte sich Gedanken, ob es nicht schon viel zu spät war, als er die Klingel betätigte. Er wollte ihn nicht aus dem Bett holen. Es verging geraume Zeit, und er war schon im Begriff, wieder zu gehen, als von innen die Klinke heruntergedrückt wurde. Die Tür öffnete sich.
    »Du bist es, Siggi?«, sagte sein Vater.
    »Warst du schon im Bett?«
    »Nein, überhaupt nicht. Komm rein, mein Lieber. Ist Bergþóra auch mitgekommen?«
    »Nein, ich bin allein«, sagte Sigurður Óli.
    Sein Vater trug einen alten, blauen Bademantel, der etwas offenstand und den Blick auf einen dünnen Plastikschlauch freigab. Er merkte, dass Sigurður Óli auf den Schlauch starrte.
    »Ich hab immer noch den Katheter«, sagte sein Vater. »Er wird morgen entfernt.«
    »Ach so. Und wie geht es dir sonst?«
    »Gut. Leider habe ich überhaupt nichts im Haus, Siggi. Bist du nicht hungrig?«
    »Nein, gar nicht. Ich wollte nur auf dem Nachhauseweg bei dir vorbeischauen und fragen, ob dir vielleicht etwas fehlt.«
    »Mir fehlt nichts. Stört es dich, wenn ich mich hinlege?«
    Sein Vater legte sich auf das Sofa im Wohnzimmer. Sigurður Óli setzte sich auf einen Sessel. Sein Vater schloss die Augen. Er sah sehr mitgenommen aus. Wahrscheinlich wäre es besser für ihn gewesen, wenn er noch etwas länger im Krankenhaus geblieben wäre, aber nirgendwo wurde so gekürzt wie im Gesundheitswesen. Die Leute wurden so schnell wie möglich aus dem Krankenhaus entlassen. Sigurður Óli sah sich imWohnzimmer um: Bücherschrank und Anrichte, ein alter Fernseher. Die eingerahmte Meisterprüfung zum Installateur. Zwei Fotos von ihm selber standen auf einem Tisch, und ein dreißig Jahres altes Bild von seinen Eltern. Sigurður Óli konnte sich genau an den Anlass erinnern, das Bild war an dem letzten Geburtstag entstanden, an dem sie noch alle zusammenlebten.
    Er erzählte seinem Vater, wie es mit Bergþóra gelaufen war. Der hörte Sigurður Óli schweigend zu, der nicht viele Worte machte, sondern nur das Wichtigste berichtete. Er wartete auf eine Reaktion, doch die blieb aus. Nach einer Weile glaubte er, sein Vater sei eingeschlafen und wollte sich gerade auf Zehenspitzen davonmachen, als er die Augen halb öffnete.
    »Ihr habt jedenfalls keine Kinder«, sagte er.
    »Vielleicht wäre es anders gelaufen, wenn wir Kinder bekommen hätten«, sagte Sigurður Óli. Seinen Worten folgte ein langes Schweigen. Wieder glaubte er, sein Vater sei eingeschlafen. Er traute sich nicht, ihn zu wecken. Doch sein Vater öffnete auf einmal die Augen und sah Sigurður Óli an.
    »Sie leiden am meisten darunter. Das wirst du wohl aus eigener Erfahrung wissen. Die Kinder sind immer

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