Abgründig (German Edition)
hält das Fenster schon aus.«
»Spricht da wieder die Erfahrung aus dir?«, fragte Sebastian schnippisch.
Ralf ließ den Arm mit der Taschenlampe sinken. »Nun hör endlich auf damit. Ja, ich habe mich geirrt, und das tut mir leid. Aber in den Bergen ist es verdammt schwer, eine Prognose abzugeben. Das Wetter kann sich jede Minute ändern. Denkst du vielleicht, ich habe uns absichtlich in diese Situation gebracht?«
»Du hältst dich selbst für den Größten«, warf Denis ein, bevor Sebastian antworten konnte. »Das ist dein Problem.«
»Genau«, pflichtete Sebastian ihm bei. »Dieses dämliche Geschwätz – von wegen du kennst dich aus und weißt, was du tust. Haltet euch an mich, dann kann euch nichts geschehen … «, äffte er Ralfs Stimme nach. »Tss … Wenn der Mist hier nichts ist, dann danke schön.«
Plötzlich unterbrach lautes Donnern und Brausen das Gezanke. Fabian hatte mittlerweile das Fenster geöffnet und nestelte nun an dem Haken herum, der die beiden Klappläden in der Mitte zusammenhielt. Als es ihm schließlich gelang, ihn zu lösen, wurden ihm die Holzläden mit einem Ruck aus den Händen gerissen. Schlagartig wurde es heller im Raum; fast im gleichen Moment knallten die Läden mit unglaublicher Wucht gegen die Außenwand, um einen Augenblick später wieder vor dem Fenster zusammenzuschlagen. Fabian war einen Schritt zurückgewichen und stand mit schreckgeweiteten Augen wie zur Salzsäule erstarrt, während einer der Läden schon wieder gegen die Hütte donnerte. Mit zwei, drei schnellen Schritten spurtete Janik zu dem Fenster und versuchte, sich ein Stück gegen den Wind hinauszulehnen, um die Läden zu fassen zu bekommen, doch sie kamen ihm schon entgegen und knallten gegen seine Finger. Mit einem Schmerzensschrei wich er zurück und hielt sich die rechte Hand.
»Das geht so nicht!«, rief Tim gegen das Tosen an. »Die müssen von außen festgemacht werden.«
Nun war auch Ralf am Fenster, drückte es zu und verschloss es, wodurch das Heulen und Brausen sofort leiser wurde. Das Schlagen der Läden ging jedoch unvermindert weiter. Es hörte sich an, als donnerten mehrere Leute immer und immer wieder wütend mit Vorschlaghämmern von außen gegen die Wand.
Tim überlegte, dass es nicht ungefährlich wäre, wieder da rauszugehen. Doch wenn er sich dicht bei der Hütte hielt, müsste es gehen. Gerade entschloss er sich, es zu versuchen, da wurde die Tür schon geöffnet, und er sah nur noch, wie Sebastian nach draußen verschwand und die Tür gleich hinter sich wieder verschloss.
Eine Weile geschah nichts. Niemand wagte es, ein Wort zu sprechen. Alle Blicke waren auf das Fenster gerichtet, das sich in knappen, unregelmäßigen Abständen mit donnerndem Knallen kurz verdunkelte, um sofort danach das Grau des Unwetters wieder durchzulassen. Und mit jedem erneuten Schlag der schweren Läden zuckten alle zusammen.
Tim fand, es hörte sich immer bedrohlicher an, und obwohl er genau wusste, dass es Unsinn war, hatte er Angst, die Wand würde den andauernden Schlägen irgendwann nicht mehr standhalten können und einstürzen.
Dann hörte es auf. Erst klapperte nur noch einer der Läden weiter, dann blieb auch der offen.
»Ja, er hat’s geschafft!«, jubilierte Fabian, und die Erleichterung war seiner Stimme deutlich anzuhören.
Es dauerte noch zwei Minuten, bis Sebastian wieder hereinkam. Tim sah sofort, dass er sich seltsam hielt, und als Sebastian umständlich die Tür wieder zugezogen hatte und sich zu ihnen umwandte, sahen sie sein schmerzverzerrtes Gesicht. Mit einem Aufstöhnen lehnte er sich an die Wand und legte die Hand auf seine rechte Schulter.
»Was ist los? Bist du gestürzt?«
»Nein, verdammt!«, presste er heraus. »Der … Shit … der Drecksladen ist mir gegen die Schulter geknallt. Fühlt sich an, als ob da alles kaputt ist. Ich könnte ausrasten.«
Ralf stieß sich von der Wand neben dem Fenster ab und ging auf Sebastian zu. »Zeig mal her. Mein Vater ist Arzt, ich kenn mich da ein bisschen aus.«
»Einen Dreck wirst du!«, brüllte Sebastian, bevor Ralf in seine Nähe kam. »Hau ab, hörst du? Du bist der Allerletzte, der sich das ansieht. Ich habe die Nase voll von dir und deinem angeblichen Auskennen. Wegen dir sind wir doch in der beschissenen Situation. Wegen dir hab ich mir wahrscheinlich auch die Schulter gebrochen. Verzieh dich!«
Ralf war stehen geblieben und hob beschwichtigend eine Hand. »Jetzt beruhige dich. Ich kann ja verstehen, dass du sauer
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