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Abgrund der Lust

Abgrund der Lust

Titel: Abgrund der Lust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Schone
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grellen Schein tauchte glänzendes Kupfer auf, das kombinierte Duschbad … ein Marmormonolith, das Waschbecken … und eine nackte Frau mit wirrem, dunklem Haar. Victorias Blick zuckte vor ihrem Spiegelbild über dem Marmorbecken zurück. Vom Alter vergilbte Seide hing schlaff über einem hölzernen Handtuchständer; daneben formlose fleischfarbene Röhren. Gestern Abend hatte sie wie jeden Abend vor dem Zubettgehen ihre Unterhose und ihre Strümpfe gewaschen.
    War er ins Schlafzimmer und ins Badezimmer gekommen, während sie geschlafen hatte? Hatte er gesehen, was kein Mann zu sehen das Recht hatte – die vergeblichen Bemühungen einerFrau, Anstand zu bewahren, obwohl ihr kein Anstand mehr zu Gebote stand? Unfehlbar wanderte ihr Blick zurück zum Spiegel. Die nackte, dunkelhaarige Frau darin starrte Victoria unverfroren an.
    Weiße Brüste lauerten durch zwei dunkle, verknotete Haarsträhnen – eine Frau bar irdischen Besitzes und stolzer Eitelkeit. Victoria kannte die Frau im Spiegel nicht. Sie kannte die Frau nicht, die sich vor einem Fremden ausgezogen und keinerlei Scham empfunden hatte.
    Ihre Brüste sprangen vor, eine Proklamation ihres Geschlechts. Ein Symbol der Schwäche und Verwundbarkeit. Die Sünde einer Frau.
    Begierde ist ein Teil von uns allen, Mademoiselle .
    Victoria erinnerte sich an die Herrschaften der vornehmen Gesellschaft, die zugesehen hatten, wie sie ihre Jungfräulichkeit versteigerte. Männer, die im Parlament saßen; Frauen, die in der Gesellschaft den Ton angaben. Hatten sie die Leidenschaft gefunden, die sie suchten?
    Eine blasse, schlanke Hand hob sich im Spiegel. Du willst geküsst werden … murmelte eine vertraute männliche Stimme provozierend. Die Frau im Spiegel berührte ihre roten Lippen. Rissige Haut kitzelte Victorias Fingerspitzen; Spannung durchzuckte sie.
    Kein Mann hatte je ihre Lippen geküsst.
    Männer küssten die Frauen auf der Straße nicht; sie paarten sich nur mit ihnen. Jetzt begriff sie, weshalb. Die Straßendirnen hatten gespannte, rissige Lippen – wie Victoria. Vor sechs Monaten waren ihre Lippen noch voll und rund gewesen. Hatte sie insgeheim die Fülle ihrer Lippen und die Weichheit ihrer Haut bewundert? War ihre Eitelkeit so offenkundig gewesen?
    Deine Brüste … drängte die provozierende Männerstimme. Die blasse, schlanke Hand im Spiegel glitt langsam nach unten über ein spitzes Kinn, eine sehnige Kehle, eine pulsierende Mulde. Warmes Haar bedeckte die Finger der Frau.
    Unter dem dunklen Haar legte sich schwielige Haut auf eine runde Brust. Sie war weich und voll, wie Victorias Körper essonst nicht war. Eine Brustwarze lugte zischen den Fingern und dem wirren Haar hervor: eine dunkle Knospe. Sie fühlte sich nicht an wie eine Knospe. Sie war hart. Übersät mit winzigen Höckern – wie Gänsehaut. An der Spitze war eine leichte Vertiefung.
    Bevor die Briefe kamen, hatte Victoria nie ihren nackten Körper betrachtet, sich nie berührt, außer mit einem Waschlappen.
    Nie hatte sie die Sinnlichkeit erahnt, die unter ihren schlichten Wollkleidern schlummerte und nur darauf wartete, von ihr entdeckt zu werden. Nun hatte der Mann mit den silbergrauen Augen und dem silberblonden Haar die Briefe gelesen. Und er wusste Bescheid …
    Du willst, wonach jede Frau sich insgeheim sehnt .
    Aber sie wollte nicht begehren. Streicheln. Saugen. Sie wollte sich nicht sehnen. Sie wollte nicht hungern … Nach der Wärme einer Berührung. Nach der Verschmelzung der Vereinigung. Sie wollte sich nicht nach den Händen eines Mannes sehnen … nach dem Geschlecht eines Mannes … nach der Zunge eine Mannes.
    Victoria ließ die Hand sinken und drehte sich abrupt mit wehendem Haar um. In den letzten sechs Monaten hatte sie sich auf einen angeschlagenen Nachttopf gekauert; der Luxus, auf einem glatten Toilettensitz aus Holz zu sitzen, war eine angenehme Abwechslung. Es erinnerte sie an die Annehmlichkeiten, die sie früher einmal für selbstverständlich gehalten hatte, und an den Komfort, den man ihr genommen hatte. Komfort, den sie vielleicht nie wieder erleben würde. Alles war dahin. Ihr Porzellanschmuck. Die Perlenhalskette; die Korallenohrringe, die sie nie zu tragen gewagt hatte. Die gravierte Silberuhr, die ihre erste Dienstherrin ihr geschenkt hatte. Ihre Kleider. Das Zimmer, das nach Armut und Verzweiflung stank. Die Miete war fällig, und sie konnte nicht zahlen. Mittlerweile hatte es sicher eine andere gemietet. Victoria griff nach der Schachtel mit

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